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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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gekleidet wie üblich, war aber ein so tüchtiger Bursche, wie man es von einem ehemaligen Sergeanten der Perimeterscouts erwarten konnte.
    »Ich habe hier einen Brief an meinen Freund Prinz Sameth«, sagte Nick. Er faltete das Papier und versiegelte es mit Wachs der Kerze und seinem Daumenabdruck. »Könnt Ihr dafür sorgen, dass der Brief per Kurierbote abgeht? Schickt jemanden nach Kante, wenn nötig.«
    »Macht Euch keine Sorgen, Herr«, erwiderte Hedge mit seinem geheimnisvollen Lächeln. »Ich kümmere mich darum.«
    »Gut«, murmelte Nick. Es war wieder einmal zu heiß, und die Lotion, die er zur Abwehr von Insekten mitgebracht hatte, taugte nichts. Er würde Hedge erneut bitten müssen zu tun, was er tat, um sie fern zu halten – was immer das auch sein mochte. Doch zuerst die wichtige Frage: Wie stand es mit der Grube?
    »Wie sieht es mit dem Ausschachten aus?«, erkundigte sich Nick. »Wie tief sind wir?«
    »Zweiundzwanzig Faden nach meiner Berechnung«, erwiderte Hedge mit sichtlicher Begeisterung. »Wir werden bald unten sein.«
    »Und der Frachtkahn steht bereit?«, fragte Nick und kämpfte darum, sich aufrecht zu halten. Er wollte sich niederlegen, denn um ihn drehte sich alles, und das Licht nahm ein seltsames Rot an, von dem er wusste, dass nur er es so sah.
    »Ich muss einige Seeleute anheuern«, sagte Hedge. »Die Kolonne der Nacht fürchtet das Wasser wegen ihrer… Gebrechen. Aber ich rechne jeden Tag mit neuen Rekruten. Es ist für alles gesorgt, Herr«, fügte er hinzu, als Nick nicht antwortete. Er blickte dabei auf die Brust des jungen Mannes, nicht in dessen Augen. Nick starrte blicklos zurück und atmete laut und schwer. Tief im Innern wusste er, dass er wieder einmal in Ohnmacht fiel – eine verdammte Schwäche, gegen die er nicht ankam.
    Hedge wartete und fuhr sich mit der Zunge nervös über die Lippen. Nicks Kopf schwang vor und zurück; dann wurde er bewusstlos. Er stöhnte, seine Lider zuckten. Plötzlich setzte er sich kerzengerade auf. Hinter seinen Augen war eine Intelligenz zu sehen, die bislang geschlummert hatte. Unvermittelt begann sie zu singen, und beißender weißer Rauch kräuselte sich aus Nicks Nase und Mund.
    »Ich sing euch ein Lied aus der alten Zeit,
    ein Lied von den Sieben, seid ihr bereit.
    Was haben die Sieben damals gemacht?
    Das magische Wirkwerk der Charter vollbracht.
    Fünf für die Kette, von Anfang bis End,
    Zwei für den Schuss, damit sie keiner mehr trennt.
    Das sind die Sieben, aber was ist mit den Neunen?
    Was ist mit den beiden, die verneinten zu scheinen?
    Der Achte verbarg sich, ward nicht mehr gesehen,
    Als die Sieben ihn fanden, kam’s ihn teuer zu stehen.
    Der Neunte, Orannis, wehrte sich mit all seiner Macht,
    Doch er ward niedergerungen und um sein Licht gebracht,
    Zerbrochen und begraben unter dem Hügel,
    Dort liegt er für immer und wünscht uns Übel.«
    Nach dem Lied herrschte einen Augenblick Stille; dann flüsterte die Stimme die letzten Zeilen noch einmal.
    »›Zerbrochen und begraben unter dem Hügel, dort liegt er für immer und wünscht uns Übel.‹ Doch das ist nicht mein Lied, Hedge, das in jedem Ohr erklingt. Die Welt dreht sich weiter ohne mein Lied. Leben, das meine Peitsche nicht kennt, kriecht ungebeten, wohin es will. Ohne das Gegengewicht der Vernichtung läuft die Schöpfung Amok – und meine Träume von Feuer sind nur Träume. Aber bald wird die Welt einschlafen, und es wird mein Traum sein, dem sich alle hingeben werden, mein Lied, das in jedem Ohr erklingt. Ist es nicht so, mein getreuer Hedge?«
    Was immer diese Worte sprach – es wartete nicht auf Hedges Antwort, sondern fuhr sogleich in einem anderen, raueren Tonfall fort: »Vernichte den Brief. Sende weitere Tote zu Chlorr und sorg dafür, dass sie den Prinzen töten, denn er darf nicht hierher an diesen Ort kommen. Schreite selbst in den Tod und halt Ausschau nach der spionierenden Tochter der Clayr. Töte sie, wenn du sie wieder siehst. Grab schneller, denn ich… muss… wieder… ganz sein!«
    Die letzten Worte brüllte er mit solcher Kraft, dass Hedge durch das verrottende Zelttuch in die Nacht geschleudert wurde. Er blickte zurück durch den Riss, voller Angst vor Schlimmerem, doch was immer durch Nicks Mund gesprochen hatte, was verschwunden. Geblieben war nur ein bewusstloser junger Mann, aus dessen Nasenlöchern Blut sickerte.
    »Ich höre Euch, Meister«, flüsterte Hedge. »Und wie immer gehorche ich.«
     

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