Das Amerikanische Hospital
sich nahm.
Nach dem schweren Essen erhoben sich alle von dem mit Gien-Porzellan vollgestellten Eichentisch, der den
größten Teil des kleinen Wohnzimmers einnahm, und schoben sich hintereinander an der Fenster- und der Büfettseite um ihn herum zur Tür hinaus. Um sich die Beine zu vertreten und weil es Fliederzeit war, hatten sie Hélènes Großmutter einen Ausflug nach dem Bois de Boulogne versprochen. Sie wollten jenseits der Rennbahn von Auteuil einen Spaziergang durch den Jardin de Bagatelle unternehmen.
Hélène ging langsam, ihre Großmutter untergehakt, über die Kieswege, während die anderen, ein wenig voraus oder zurückbleibend, ein anderes Tempo anschlugen. Beim Anblick des blühenden und duftenden Fliedermassivs hinter dem und oberhalb des Rosengartens, den es als undurchdringliche, fünf Meter hohe Hecke zu zwei Seiten abschloss, traten der alten Frau Tränen in die Augen, und sie bedankte sich bei ihrer Enkelin.
Mehr als dreißig Jahre war ich nicht mehr hier! Zuletzt mit meinem armen Gus, da haben wir dich im Kinderwagen hier durchgeschoben. Wie schön ist es hier doch! Sie schneuzte sich in ein Stofftaschentuch und wiederholte im Weiterhumpeln, schwer und leicht zugleich an Hélènes Arm: Wie wunderschön ist es hier!
Es schien eine flache Frühlingssonne, und eine milde Brise verbreitete den Duft der nickenden, schweren Blütendolden, die in allen Farben von Weiß über Blassviolett bis hin zu dunklem, fast purpurnem Lila leuchteten, über den ganzen Rosengarten.
D avid Cote war sehr viel besserer Dinge, als Hélène ihn Anfang August im amerikanischen Hospital wiedersah. Sie selbst war glücklich, ihn zu sehen, und dass er seine Uniform trug, störte sie nicht mehr. Sie begrüßten einander, und der Amerikaner machte kein Hehl aus seiner Freude über die Begegnung.
Auch wenn das ja wohl heißt, dass es bislang noch nicht geklappt hat. Aber Sie müssen es schaffen, und Sie werden es schaffen.
Hélène nickte. Und wie geht es Ihnen?
Sehr viel besser, danke. Wie lange haben Sie Zeit? Es gibt so viel zu erzählen.
Hélène lächelte. Den ganzen Nachmittag und Abend. Ich bleibe über Nacht.
Ich habe den Tag auch frei, sagte der Amerikaner. Ich komme noch einmal die Woche zur Analyse. Sie erinnern sich doch an Dr. Mehran. Ich nenne ihn The shrink of Araby, was ihn ärgert, da er Perser ist. Aber wenn man seinen Psychoanalytiker nicht ärgern darf, wen dann?, frage ich Sie.
Offenbar zu Scherzen aufgelegt, kam er auch noch einmal auf seine Uniform zurück und erinnerte Hélène daran, dass sie gesagt habe, ihr Land führe keine Kriege mehr. Und jetzt haben Sie viertausend Mann in Bosnien stehen.
Als neutrale UNO-Schutztruppe, widersprach Hélène.
Dabei wird es nicht bleiben, prophezeite der Amerikaner wieder ernst. Das ist ein schmutziger Krieg da drüben, und wir werden nicht lange einfach zwischen den Fronten stehen können und mit Palmzweigen wedeln. So funktionieren Kriege nicht.
Und wie funktionieren Kriege?, fragte Hélène.
Sie fangen an mit Angstschweiß, sagte der Amerikaner. Er erinnerte sich an den Morgen des 24. Februar, als die Marschorder für die 11. Armee kam. Das Wetter war schlecht. Sandstürme wechselten sich ab mit Regengüssen, sodass jedes Sichtfenster auf den Panzern, jedes Brillenglas binnen Minuten von einer dicken, schmierigen Dreckschicht bedeckt war. Der Rauch brennender Ölfelder verdunkelte den Himmel, auch nachdem die Sandstürme zur Ruhe gekommen waren und der Regen nachließ, und schuf eine unnatürliche und unheilvolle Dämmerung am hellichten Vormittag. Die Stimmung in der Division war extrem angespannt nach der kurzen Rede, die der Kommandant am Vorabend gehalten hatte.
Wissen Sie, sagte Cote zu Hélène, unser Kommandant, Big B, ist ein außergewöhnlicher Soldat. Ein Soldat für Soldaten. Einer, der absolute Loyalität einfordert und zugleich auf seine Männer achtet wie ein Schäfer auf seine Schafe. Wir waren alle stolz, unter seinem Kommando zu stehen. Und nicht nur stolz, wir fühlten uns auch - wie soll ich sagen? - behütet. Ich erinnere mich, was er sagte. Das wird kein Sonntagsspaziergang, sagte er. Diese Typen haben die viertgrößte Armee der Welt. Die werden nicht einfach zur Seite treten, wenn wir kommen.
Und dann sagte er, dass wir in der ersten Woche voraussichtlich zehn Prozent Verluste haben würden. Die Divisionen waren alle überbelegt, weil ARCENT bis zu einem Drittel Verluste einkalkuliert hatte. Das heißt, du siehst nach links,
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