Das Amerikanische Hospital
normal, zwei Fehlschläge zu erleiden. Bei manchen Paaren klappte es das erste Mal, bei anderen das dritte, vierte, fünfte Mal, bei anderen klappte es nie.
Es gibt keine Regel, nur Einzelfälle, und das Beste und Einzige, was Sie tun können, ist, soweit es geht, entspannt zu bleiben und Ihre Zuversicht zu behalten. Ein gescheiterter Versuch macht einen Erfolg beim nächsten Mal nicht unwahrscheinlicher. Sie fangen jedes Mal wieder bei null an, mit allen Chancen.
Dann aber erklärte er, er wolle angesichts des parallelen Verlaufs der beiden gescheiterten Protokolle einige weitere Untersuchungen durchführen. Die Morphologie der befruchteten Eizellen habe keine sichtbaren Probleme aufgezeigt, die auf eine Entwicklungsstörung schließen ließen. Er habe auch darüber nachgedacht, beim nächsten Versuch (er blickte auf und lächelte ihnen über den Goldrand seiner Brille hinweg zu: Es gibt doch einen nächsten Versuch?!) den Transfer erst im Blastozystenstadium, also am fünften oder sechsten Tag nach der Punktion, zu machen, um die Eizellenentwicklung länger beobachten zu können, und weil die Gebärmutterschleimhaut zu diesem späteren Zeitpunkt optimal auf die Aufnahme des Embryos vorbereitet sei. Aber das behalte er sich noch vor.
Erschrecken Sie jetzt nicht, was ich Ihnen sage, sind pure Spekulationen ohne große Wahrscheinlichkeit, und es ist nur, um uns nicht vorwerfen zu müssen, wir hätten
irgendeinen noch so unwahrscheinlichen Weg nicht beschritten. Ich möchte also eine Genetik mit Ihnen machen, eine Blutuntersuchung auf Ihre Chromosomen. Es gibt zum Beispiel Mutationen in den Gerinnungsfaktoren V und II, dem Prothrombin, die zu einem erhöhten Risiko für Thrombosen und Embolien führen und ein Grund für Aborte sein können.
Ob man dagegen etwas tun könne, falls es sich so verhalte.
Wenn, dann kann man mit einer antikoagulativen Behandlung einer Fehlgeburt vorbeugen. Dann gibt es noch einen weiteren Faktor, der für häufige Aborte prädisponiert, das sind Mutationen im Gen der Methylentetrahydrofolat-Reduktase, das ist ein Enzym, das den Folatstoffwechsel reguliert. Auch so ein niedriger Folatspiegel kann etwas mit einer erhöhten Fehlgeburtsrate zu tun haben. Und lässt sich, kam er ihrer Frage zuvor, mit Dosen von Folsäure behandeln. Dann werden wir noch eine immunologische Untersuchung durchführen, um sicherzustellen, dass Sie keine Autoantikörper gegen Phospholipide bilden, und eine Hysteroskopie machen, aber damit warten wir bis Anfang des Jahres, damit Sie ein bisschen Ruhe vor uns bekommen. Machen Sie was Schönes zu zweit!
Betäubt von all den Fachausdrücken und unsicher, ob die Konsultation mehr zum Bangen oder zum Hoffen Anlass gab, verließen Hélène und ihr Mann das amerikanische Hospital.
Wie um Le Goffs Ermunterung umzusetzen, fuhren sie Anfang März auf ein langes Wochenende nach Montigny am Loing und kehrten zum ersten Mal seit langer
Zeit wieder in der Auberge de la Vanne Rouge ein. Das Wasser am Wehr rauschte noch immer vor dem offenen Fenster in der Nacht, aber es regnete häufig, der Papagei war verstorben, und das Haus hatte einen neuen Koch, der nicht so gut war wie der alte oder keinen guten Tag erwischt hatte. Sie saßen abends im Kaminzimmer vor dem Fernseher und sahen der Kinopreisverleihung zu, und der Preis für den besten Film des Jahres ging an Wilde Nächte, das höchst verstörende Werk eines homosexuellen und aidskranken Regisseurs und Hauptdarstellers, dessen Tage gezählt waren und der in seinem Film das Leben als ein Abbrennen der Kerze von beiden Seiten feierte, als ein frenetisches Verhöhnen aller bürgerlichen Konventionen und Sehnsüchte, sodass sie, erinnerte Hélène sich, als sie den Film ein halbes Jahr vorher im Kino gesehen hatten, den Saal in gedämpfter Stimmung verlassen und ihr Leben den ganzen Nachhauseweg und den Rest des Abends über für langweilig und verlogen gehalten hatten, ohne es sich oder dem anderen eingestehen zu wollen.
Ende April feierten sie in der kleinen Eisenbahnerwohnung in der Rue des Batignolles den achtzigsten Geburtstag von Hélènes Großmutter mit einem mehrstündigen Mittagessen, das direkt in eine Kaffeetafel überging, zu der auch Lucette, die übergewichtige und streng riechende Concierge des Hauses geladen war, für die die Treppe in den dritten Stock hinauf einen Kreuzweg darstellte, den sie nur dank der Aussicht auf ein Gigot mit weißen, von ihr péteuses genannten Bohnen und mehrere Stücke Torte auf
Weitere Kostenlose Bücher