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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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geschissen hatten, verstand ich nichts. Erst als einer begann wegzukriechen. Ich sah zuerst nur die Augen, die schreckgeweiteten Kinderaugen,
nur Weiß. Hélène, das waren Vierzehnjährige. Dann erst sah ich, dass sie keine Stiefel trugen. Sie waren alle barfuß. Und dann sah ich, wie unnatürlich geschwollen die Füße waren. Hinten an der Ferse, am Knöchel. Alle diese Jungs lagen da, alle ohne Stiefel und alle mit diesen geschwollenen Fersen, manche blutverkrustet. Unser Arzt kniet sich nieder, und dann spuckt er aus und steht auf und sagt mir: Sie haben ihnen die Achillessehnen durchgeschnitten. Einer konnte ein paar Brocken Englisch und sagte, es seien ihre Vorgesetzten gewesen von der Nationalgarde. Sie hatten ihnen die Achillessehnen durchgeschnitten, damit sie nicht desertieren, nicht fliehen konnten, ihnen ein paar Karabiner in die Hand gedrückt und sie dort zurückgelassen. Da lagen sie, ein Dutzend Jungs, ausgesetzt in der Wüste, und hatten nicht einmal ein sauberes Unterhemd, das sie hätten schwenken können. Keiner dachte daran fortzukriechen, als sie uns sahen. Nur der eine, als wir schon über ihm standen. Er zog sich mit den Fingernägeln über die Erde, aus Angst, wir würden ihn umbringen.
    Hélène legte die Hand auf seinen Unterarm. Und das alles vor den Toren des Gartens Eden.
    Nicht direkt. Eden lag zu dem Zeitpunkt noch hundert Meilen östlich. Wir erreichten das Euphrattal in der Nacht, einen Tag schneller, als ARCENT geplant hatte. Die größte Kavallerieattacke seit den Indianerkriegen, nannte das irgendwer im Stab, vielleicht sogar Big B selbst.
    Ich weiß nicht, ob ich noch mehr hören will, sagte Hélène.
    Er sah sie an und schien zu erwachen. Nein, das wollen Sie nicht, und ich bin ein verdammter Idiot, dass
ich Ihnen, gerade Ihnen, diese widerlichen Geschichten erzähle, anstatt -. Er unterbrach sich und fügte dann hinzu: Ja, aber das waren die Bilder der ersten zwei Tage, diese kriechenden Kinder mit durchschnittenen Sehnen und diese langsam sterbenden Vögel … Ich habe das noch nie erzählt.
    Auch nicht Ihrem Analytiker?, fragte Hélène verblüfft.
    Cote schüttelte den Kopf. Nein, den interessiert mehr meine Jugend in Worcester. Krieg kenne ich selbst, Captain Cote, hat er mir gesagt. Der Krieg ist immer entsetzlich, darüber müssen Sie mir nichts erzählen. Was interessant ist, das ist, was vorher war. Mit welchen Dispositionen kommt man in so einen Krieg?
    Hélène dachte an ihren Vater. Sie glaubte nicht, dass er mit irgendwelchen Dispositionen nach Algerien gegangen war, die erklärten, dass er nach dieser Zeit trank und seinen Lebensmut verloren hatte. Sie glaubte, dass es das war, was immer er dort gesehen, getan und erlebt hatte, was ihm einen Knacks versetzte. Er hatte nie von Algerien erzählt.
    Woran denken Sie?, fragte der Amerikaner.
    An meinen Vater, sagte Hélène. Und dass er nie über seine Kriegserfahrungen gesprochen hat.
    Er wird schon gewusst haben warum. Das sind nicht Geschichten, die man Kindern erzählen kann. Man kann sie eigentlich überhaupt niemandem erzählen. Außer denen, die dabei waren, und denen auch nicht, denn sie kennen sie selbst. Das erklärt, warum Soldaten einsame Menschen sind und ihr Leben lang nicht mehr loskommen von der Armee.

    Ich habe nichts dagegen, dass Sie mir davon erzählen, wenn Sie mögen, sagte Hélène. Es macht mir nichts aus, wenn es nicht zu viel Unerträgliches auf einmal ist.
    Der Amerikaner sah sie an. Ja, ich habe auch den Eindruck, dass Sie eine ungewöhnliche Befähigung zum Zuhören haben. Wo stecken Sie das alles hin, damit es Sie nicht kaputtmacht?
    Hélène zuckte die Achseln. Ich habe es Ihnen doch schon gesagt. Ich habe mein Antidot. Ich glaube ans Leben. An die Sonne, die Natur, die Tiere und nicht zuletzt die Menschen. An den Kreislauf, der alles weitergehen und wieder neu werden lässt. Ich habe Vertrauen …
    Ja, sagte der Amerikaner schlicht.
    Sie schwiegen eine Weile, dann setzte er hinzu: Trotzdem belaste ich Sie zu viel mit meinen Problemen. Ich möchte nicht alles bei Ihnen abladen wie bei -. Es fiel ihm kein passender Vergleich ein, und er schwieg.
    Ende des Jahres, sagte er nach einer Weile, läuft meine MPEP-Zeit hier ab, und ich werde zurückgehen müssen.
    Hélène griff nach einer der Zigaretten Cotes, die neben ihr auf der Bank lagen. Sie fixierten das teure Apartmenthaus mit den dunkelbraunen Rauchglas-Balkonverkleidungen hinter den Bäumen.
    Wo ist denn Ihr Zurück?, fragte sie, durch

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