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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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du siehst nach rechts und weißt, einen von euch dreien wird es erwischen. Big B stand da unter seinem Zelt und sagte: Wenn Sie durch ein Dorf fahren, und jemand wirft einen Stein auf Sie, erschießen Sie ihn. Wenn jemand auf Sie schießt, halten Sie mit dem Panzerrohr drauf. Wenn die Kerle irgendein größeres Kaliber benutzen, fordern Sie Artillerieunterstützung an. So einfach ist das. Sie gehorchen den Regeln der Kriegsführung, aber Sie schützen sich zuerst selbst.
    Und in diesem Geist und unter dieser Anspannung sind wir dann in die Wüste hineingerollt, nach Norden, in Richtung Euphrattal.
    Wir sind also losgerollt mit dieser Angst in der Magengrube und dem Adrenalin und den Finger am Abzug. Schießen, auf alles schießen, was sich bewegt, als Erster schießen, die Araber abschießen, damit sie uns nicht abschießen. Und dass diese aus der Angst kommende Aggressivität letztlich kein Ventil fand, weil die Iraker kaum gekämpft haben, das hat, meint Mehran, das Schuldgefühl bei mir bewirkt, das meine ganzen Beschwerden verursacht. Wissen Sie, spätestens ab dem dritten Tag fürchteten wir uns mehr vor dem fehlgeleiteten Feuer der eigenen Leute als vor dem Feind. Es gab einen gemeinen Witz, der durch die ganze Division lief, und der ging so: Irak ist ein erstaunlich patriotisches Land. Jeder wedelt andauernd mit der Landesflagge herum, die ganz in Weiß gehalten ist.

    Schuldgefühle, weil Sie nicht genügend Iraker getötet haben?, fragte Hélène ungläubig.
    Ja, meinem Vater gegenüber. Das ist zumindest Mehrans These, und ich will ihm gerne glauben. Wir haben ja weniger über den Krieg geredet als über meine Kindheit und Jugend. Und über seine. Wenn er also meine Biographie schreiben könnte, dann ich auch seine. Er redet fast mehr als ich. Es hat trotz allem etwas Unangenehmes, fremden Leuten, die keine Priester sind, aus dem eigenen Leben zu erzählen.
    Er machte eine Pause und fingerte sich eine Zigarette aus der Brusttasche seiner Jacke. Er hatte jetzt selbst welche.
    Und, wird Ihnen der Park langsam zu eng?, fragte Hélène.
    Cote zwinkerte. Er ist noch immer eine ganz gute Rückzugsbasis.
    Mehrans Theorie war die fehlende Katharsis nach all der Angst und Anspannung. Es hatte keine wirkliche Schlacht, keinen echten Kampf gegeben, um sie zu lösen.
    Wissen Sie, wir fühlten uns gewissermaßen betrogen und schuldig zugleich. Ich hätte gewünscht, die Iraker hätten sich irgendwie als würdigere Gegner erwiesen. Sie haben keine Schlacht verloren, sie sind vor uns davongelaufen. Wir haben einen großen Sieg errungen, aber ohne große Opfer. Und das Opfer, sagt Mehran, ist das Lebensblut der Freiheit, der Preis aller Glorie, die Natur des Soldatendaseins.
    Ihr Analytiker meint also, Sie seien frustriert darüber gewesen, dass Sie nicht genügend Tote und Verletzte hatten?

    Die Ohren des Amerikaners röteten sich ein wenig, es war ihm peinlich, an die psychischen Entblößungen der Sitzungen zurückzudenken.
    Mehran hat diese Frustration in Verbindung gebracht mit einem Schuldgefühl aus der Kindheit. Er hat mir diese Abschiedsszenen ins Gedächtnis zurückgerufen, als mein Vater nach Vietnam musste. Ich war damals ja noch klein und habe nicht viel verstanden, aber die Beklemmung jener Abschiede gespürt. Und dann wohl des Öfteren als der Ältere das Gefühl gehabt, ich müsse in seiner Abwesenheit die Familie beschützen, habe mich zugleich aber auch vor der Verantwortung gedrückt und in mir selbst verkrochen. Dass ich dann selbst Soldat geworden bin, erklärt sich Mehran als Kompensation, als den späten und permanenten Wunsch nach Wiedergutmachung. Und als ich endlich in einem Krieg die Chance habe, zwanzig Jahre später, diese Schuld, wenn Sie so wollen, abzutragen, da ist es ein Krieg, der nicht auf der Höhe ist, ein Krieg ohne Glorie. Trotz Bronze Star und Valor Device. Und das hängt mir nach.
    Hélène sah wieder etwas von der Traurigkeit, die sie am Anfang wahrgenommen hatte, in seinen Augen, traute sich aber nicht, gegen diese Interpretation zu argumentieren. Sie war keine Ärztin.
    Cote spürte ihr Zögern und fügte hinzu: Wissen Sie, die Hauptsache ist, ich funktioniere wieder, ich habe die Sache im Griff. Letztendlich ist es mir egal, ob es die Tabletten sind oder die Analyse oder eine Mischung aus beidem. Wichtig ist, dass ich kein Wrack mehr bin, das seine Zeit, das sein Leben in Krankenhäusern verbringt.

    War es denn so in Ihrer Kindheit, wenn Ihr Vater fortgegangen ist?, fragte

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