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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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Inhalt ihrer Tüten auspackten. Sie bückten sich, knieten sich hin, zogen Plastik- und Blechnäpfe, die zuvor unsichtbar gewesen waren, unter den Ranken und Büschen und dem Efeu hervor, stellten zusätzliche auf, die sie mitgebracht hatten, und füllten das Katzenfutter hinein. Dabei redeten sie unaufhörlich in einer Art Katzen-Kauderwelsch zu den Tieren: Miezmiezmiez. Ah, il fait le beau. Que tu es fier, minet. Ah, quel voyou, çui-là. Oh, regardez-moi ce patapouf. Ah, le joli panache!
    Bald waren mehr als dreißig Katzen aufgetaucht und drängten sich um die Näpfe. Die alten Frauen versuchten, die Nahrungsaufnahme zivilisiert und in der Reihenfolge des Eintreffens vonstattengehen zu lassen, womit die Katzen nicht einverstanden waren. Es gab Rangkämpfe, Gefauche und Pfotenhiebe, aber es war genug für alle da, selbst für die Schwächsten. In den kurzen Pausen, in denen keine der alten Frauen auf die Katzen einredete, konnte man deren sonores Geschnurre hören, das die Luft kräuselte wie Regentropfen den glatten Wasserspiegel eines Sees.
    Es waren magere Katzen, verglichen mit den meisten Hauskatzen, einige trugen die Spuren von Kämpfen, es gab kranke und dreibeinige und solche mit Schwanzstummel, aber alles in allem war es nicht das Bild einer Armen- oder Krankenspeisung, sondern eher die Travestie einer Tempelszene, in der greise Vestalinnen den herbeibeschworenen Ortsgöttern opfern.
    Wo kommen um Himmels willen all die Katzen her?, fragte Cote fasziniert.

    Es gibt Hunderte, vielleicht sogar Tausende hier auf dem Père Lachaise, antwortete Hélène. Es gibt sogar einen Verein, bei dem ich auch Mitglied bin, allerdings nur passives, die Association du Chat Libre. Er sorgt dafür, die Tiere zu impfen, zu kastrieren, aber in ihrem natürlichen Lebensraum frei existieren zu lassen.
    Sie dachte an den Druck, der in ihrem Schlafzimmer hing, die Reproduktion eines Gemäldes von Léonor Fini für den Verein. Es zeigte das großformatige Porträt einer dreifarbigen Katze auf grünem Hintergrund, und darunter stand: Vive le Chat Libre.
    Und die alten Weiblein?, fragte der Amerikaner. Gehören die auch zu diesem Verein?
    Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Sie kommen nur einfach jeden Nachmittag hierher und füttern die Katzen. Aus Einsamkeit vielleicht.
    Sie schwiegen eine Weile und sahen dem Kommen und Gehen essender, sich putzender Katzen zu.
    So werde ich auch enden, sagte Hélène schließlich, den Blick immer noch auf die Tiere und die alten Frauen gerichtet. Als Katzenmama. Ein altes Weib, wie Sie sagen, das jeden Tag auf den Friedhof geht und Katzen füttert, weil es sonst niemanden hat, den es bemuttern kann.
    Der Amerikaner starrte sie entgeistert an. Sie saß auf der Bank, die Fäuste im Schoß geballt, dass die Adern auf den Händen hervortraten. An den Falten, die von ihrem Ohr zu ihrem Kiefer liefen, konnte man sehen, dass sie kein junges Mädchen mehr war.
    Ja, sagte sie nickend und begann zu zittern, so werde ich auch enden.

    Cote erstarrte und spürte, wie eine Gänsehaut über seine Arme, seine Schultern, seinen Rücken lief. Er empfand ein ähnliches Grauen wie bei seinem Albtraum, aber diesmal galt es nicht ihm, sondern kam aus der jähen Erkenntnis, dass er etwas Entscheidendes übersehen hatte. Es war ihm, als zersplittere eine Milchglasscheibe, die ihn umhüllt hatte. Grell und scharf umrissen sah er Hélène neben sich, deren Gesicht jetzt die Spannung nicht mehr zu halten vermochte, es zog sich zusammen, und sie begann zu schluchzen.
    Aber nein!, rief er heiser. Sie werden überhaupt nicht so enden! Was für ein Unsinn! Sie werden Mutter!
    Sie winkte ab mit einer Bewegung wie der eines wütenden Kindes, das Nähe verweigert.
    Mein eigener Körper verspottet mich!, sagte sie zwischen den Schluchzern, die sie mit tiefen Atemzügen erfolglos unter Kontrolle zu bringen suchte. Mein eigener Körper ist mein Feind! Diese erste Fehlgeburt, die hat mich so unerwartet erwischt, so schutzlos, so ganz blöd und naiv hoffend und glaubend und selbstgewiss. Wissen Sie, wie sich das anfühlt? Nein, das können Sie nicht wissen. Wie Wehen fühlt sich das an! Wie Wehen! Das heißt, alle Frauen, die Kinder haben und Kinder haben können, haben mir das bestätigt. Es kommt in Wehen! Es ist eine so perfide, so gemeine Mimikry der Geburt. Es äfft sie nach! Du hast Wehen, aber du presst kein Baby ans Licht, da speit dein Leib, da wirft dein Leib nur einen blutigen, abgestorbenen Klumpen raus …
    Sie schlug

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