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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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strahlende Augen. Kleine klebrige Schmutzhändchen. Und schon recht kokett. Sie war vielleicht die Einzige, die noch nicht wusste, was das heißt: der Feind. Sie spielte einfach Verstecken mit mir.
    Die Kinder sehen das Essen und die Wrigley’s-Packungen, und das ist natürlich eine starke Verführung. Ich mache ihnen Zeichen, dass ich gutes Essen habe, halte mir die Hand vor den Mund, reibe mir den Bauch. Der ältere Junge steht jetzt vor mir und gibt mir zu verstehen, dass er nichts anrühren wird, weder er noch die Kleineren, aus Angst, dass wir das Zeug vergiftet haben und sie umbringen wollen. Er sieht mich ernst und misstrauisch und verschlossen und furchtsam zugleich an. So ganz anders als das Mädchen. Wie kann ich sie überzeugen, dass ich es ehrlich meine? Also stecke ich mir demonstrativ einen Kräcker mit Erdnussbutter in den Mund, kaue
demonstrativ und schlucke ihn demonstrativ hinunter. Und halte dem Jungen dann den nächsten hin. Und plötzlich sehe ich, wie seine Anspannung abfällt und er anfängt zu weinen, zu schluchzen, der ganze magere, kleine Körper bebt, und die Tränen bilden helle Kanäle im Staub auf seinem Gesicht, und er streckt die Hand aus und öffnet sie.
    Und dann kamen natürlich auch die anderen und nahmen die Kräcker und aßen, und das süße Mädchen flirtete weiter mit mir, und wir haben ihnen alles ausgepackt, was wir dabeihatten, und dann zieht einer meiner Männer aus seiner Brusttasche eine kleine Plastikfigur, einen Captain America, und drückt sie dem großen Jungen in die Hand, dem misstrauischen. Ja, und während sie da mitten auf dem Platz essen und spielen und wir schon wieder auf halbem Wege zurück sind zu unserem Jeep, da - er unterbrach sich und schluckte -, da bricht die Hölle los.
    Jemand hat eine Bombe gezündet, denke ich zunächst, aber es sind Einschläge von Mörsergranaten, ein Volltreffer in den Wasserturm, ausgerechnet in den Wasserturm, der zerbirst, und man sieht in der Sonne wie ein breites Seidentuch, das hochsegelt, einen Moment lang den Wasserschwall, und dann spritzen der Sand und die Kiesel auf dem Platz plötzlich in lauter kleinen Explosionen und Eruptionen hoch - Maschinengewehrfeuer, und ich brülle noch: In Deckung! Und wir werfen uns unter den Jeep, da explodiert noch ein zweites Haus, und die Querschläger jaulen, und ein in der Seitengasse abgestelltes rostiges Auto geht in Flammen und Qualm auf, und unter dem Jeep hervor sehe ich den Platz in einer Staubwolke
verschwinden und irgendwo in der Staubwolke die Kinder, und ich schreie: Funkkontakt! Kontaktieren Sie die Wahnsinnigen! Aufhören! Die sollen das Feuer einstellen! Und mein Sergeant kriecht unter dem Jeep durch und hangelt nach der Einstiegsöffnung und zieht das Funkgerät runter und brüllt wie ein Wahnsinniger gegen den Lärm an, aber es dauert noch fünf Minuten, bis das Feuer eingestellt wird und wir uns wieder unter dem Jeep hervorgetraut haben.
    Ja, und da lagen sie. Da lagen sie alle. Auf dem Platz lagen die Kinder, und hundert Meter weiter lagen die alten Männer, das weiße Bettlaken halb über ihnen wie ein Leichentuch. Nun wird Woods mich fragen: Wie sahen sie aus? Aber daran will ich mich nicht erinnern. Wie sehen Kinder aus, die von Maschinengewehrgarben zerfetzt sind, Hélène? Nur das kleine Mädchen lag da und sah ganz unversehrt aus. Allein die Augen standen ihm offen. Und der eine meiner Männer, als er sich niederkniet und in der Faust des toten Jungen den Captain America sieht, da fängt er an, Rotz und Wasser zu heulen. Captain, sagt er, Captain, das Ding da, das hat mir mein Sohn mitgegeben, als Talisman, und damit ich möglichst viele Araber umbringe. Aber doch nicht so! Nicht so! Und ich dachte doch, der verdammte Krieg ist zu Ende, es ist doch Waffenstillstand seit gestern, Captain, wir können wieder nach Hause, mir ist nichts passiert, und da dachte ich, geb ich dem Jungen hier den Captain America, weil, ich brauch ihn doch nicht mehr, und vielleicht hilft er ja ihm, dacht ich, Captain. Aber den nehm ich ihm jetzt nicht aus der Hand! Den hab ich ihm geschenkt. Den behält er, Captain!

    Ja, und dann haben wir sie begraben. Wir haben sie alle begraben. Wir haben die Kinder begraben und die alten Männer begraben, alle Toten, die wir auf der Straße gefunden haben, ich weiß nicht, ob es noch weitere gab.
    Er atmete tief ein und aus. Am Abend habe ich meinem Oberst die Hölle heißgemacht, hab mich sehr unbeliebt gemacht, weil ich verlangt habe zu

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