Das Amulett der Macht
weg, ehe jemand merkt, dass ein Boot fehlt.«
»Richtig«, sagte Lara nickend. »Und Sie haben sich nicht geirrt. Es war mein Vorschlag. Ich habe ihn nicht ganz durchdacht.«
»Ich weiß, dass ich die Frage bedauern werde«, sagte Hassam. »Aber warum versuchen wir nicht zu vertuschen, dass wir hier waren und von dem vergifteten Wasser wissen?«
»Wenn wir drei oder vier Stunden damit zubringen, die Oase in einen scheinbar unberührten Zustand zu versetzen, werden wir den Nassersee nicht vor Tagesanbruch erreichen«, sagte Omar. »Wir wollen ein Boot stehlen und keine offene Schießerei anzetteln.«
»Außerdem«, fügte Lara hinzu, »wird sich der Wind bald legen. Er mag noch die ersten paar Meilen unserer Fährte verwehen, aber wir sind über zwanzig Meilen vom See entfernt. Wenn Sie keine Möglichkeit wissen, alle unsere Spuren zu verwischen, würde es nicht lange dauern, bis die Mahdisten herausfänden, wohin wir unterwegs sind.«
»Wir können während des Reitens reden«, sagte Omar, »und Zeit ist von entscheidender Bedeutung. Wir müssen vor Sonnenaufgang am See sein.«
Lara trank den letzten Schluck aus ihrer Feldflasche. »Wie lange werden wir brauchen, um den See zu erreichen?«, fragte sie, während El Khobar sich erhob und sich Gaafars Kamel anschloss. Omar ritt neben ihr, und Hassam bildete das Schlusslicht.
»Vielleicht fünf Stunden, vielleicht sechs«, erwiderte Omar. »Wenn wir Glück haben, kommen wir vier Stunden vor der Morgendämmerung dort an, was gut wäre, denn ich weiß nicht, ob es ein Dorf an der Stelle gibt, wo wir auf den See treffen. Es könnte sein, dass wir erst ein paar Meilen am Ufer entlangreiten müssen.«
Lara betrachtete die Feldflasche, dann zuckte sie die Achseln und schlang sie sich über die Schulter. »Sechs Stunden. Das kann man ohne Wasser aushalten.«
»Ich habe Sie schon einmal gewarnt«, sagte Omar. »Das Wasser könnte Sie krank machen.«
»Sie haben mich auch über die Alternative aufgeklärt«, sagte Lara angewidert. »Von mir aus können die Kamele das Wasser behalten, das sie getrunken haben.«
Omar lachte. »Das tat man nur in Situationen größter Verzweiflung. Unsere Situation mag zwar verzweifelt sein, aber zum Glück ist sie nicht so schlimm. Wir werden von Feinden gejagt. Wenn sie uns erwischen oder angreifen, so haben wir Gewehre und Pistolen und können ihr Feuer erwidern. Aber auf wen schießen Sie, wenn Sie sich in der Wüste verirrt und kein Wasser haben?«
»Schon kapiert«, sagte Lara. »Erzählen Sie mir von den Mahdisten.«
»Was möchten Sie wissen?«
»Der Enkelsohn des Mahdis, dessen Name mir gerade nicht einfallen will …«, begann Lara.
»Sadiq al Mahdi«, half Omar sogleich aus.
»Sadiq al Mahdi«, wiederholte sie. »Er wurde in den sechziger Jahren zum Premierminister des Sudans gewählt, nicht wahr?«
»1965«, sagte Omar. »Aber seine Regierung stürzte 1967.«
»Doch dann kam er zurück, oder?«
»Er wurde 1986 wiedergewählt«, antwortete Omar. »Und drei Jahre später wurde er ein zweites Mal gestürzt.«
»Dann habe ich schlicht diese Frage: Da es noch eine Blutlinie gibt, die auf den Mahdi zurückgeht, und da einer dieser Nachfahren beliebt genug war, um nicht nur einmal, sondern sogar zweimal gewählt zu werden, warum unterstützen die Mahdisten nicht einen der Nachkommen des Mahdis, damit der das Land regiert? Warum macht man sich all die Mühe, das Amulett zu finden?«
»Sadiq al Mahdi wurde wegen seiner Blutlinie zweimal gewählt, und er wurde zweimal wegen seiner Leistungen im Amt entmachtet«, antwortete Omar. »Das zeigte den Mahdisten, dass es nicht genügt, nur das Blut des ursprünglichen Mahdis zu haben. Ihr erhoffter Führer muss auch über die Macht verfügen, und diese Macht wohnt dem Amulett inne.«
»Wenn sie es vor uns finden sollten, würden sie es einem Nachfahren des Mahdis aushändigen?«, fragte sie.
»Wer immer es besitzt, wird der Mahdi sein « , erklärte Omar.
»Der Enkelsohn und andere machten den Begriff zu ihrem Familiennamen, aber der ursprüngliche Mahdi hieß eigentlich Muhammad Ahmad. Das Wort Mahdi bedeutet ›der Erwartete‹. In Ihrer Kultur wäre es das Äquivalent zu ›Messias‹.«
»Ich verstehe«, sagte Lara. »Dann haben die Mahdisten gar keine Verbindung zum heutigen Mahdi-Clan?«
»Nein«, antwortete Omar. »Mehr noch, sollten die Mahdisten in den Besitz des Amuletts gelangen, dann glaube ich, dass sie all jene, die den Namen tragen, als Ketzer hinrichten
Weitere Kostenlose Bücher