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Das Amulett der Pilgerin - Roman

Titel: Das Amulett der Pilgerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Bastian
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und fuhr fort: »Oder er kann seinem Richter sonst irgendwie dienlich sein, oder einem Freund oder dem Freund eines Freundes …«
    Julian hob die Hand.
    »Das wäre dann die Beugung des Rechts.«
    »Recht ist sehr geschmeidig.«
    Er runzelte die Stirn. Fast könnte man meinen, dass er wirklich an Recht und Ordnung glaubte, dachte Viviana. Ihre eigenen Erfahrungen waren andere. Es galt das Recht des Stärkeren. Überall. Selbst wenn es das Recht des Königs war, war dies auch nur der Wille des Mächtigsten. Wo es nötig war, da wurde das Recht gebeugt, gerne auch im Dienste einer vermeintlich guten Sache. Nein, sie hatte alle Gründe und Rechtfertigungen schon einmal gehört. Wenn Julian glaubte, einen gerechten Kampf zu führen, dann war er ein Narr. Sie fragte sich, was alles von dem, was er ihr über sein Leben erzählt hatte, gelogen war. Es war immer gut, so dicht wie möglich an der Wahrheit zu bleiben, weil man dann weniger Fehler machte. Manchmal genoss es Viviana aber auch, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen. Es war, als ob sie sich aus ihrem eigentlichen Leben stehlen und eine andere Person werden würde. Während der kurzen Zeit, in der sie sich nicht hatte erinnern können, war sie da tatsächlich jemand anderer geworden? Es gab kein Entkommen, man blieb, wer man war.
    »Hast du wirklich eine Frau gehabt?«
    »Warum willst du das wissen?«, fragte Julian vorsichtig.
    Viviana zuckte mit den Schultern.
    »Warum nicht? Ist es ein großes Geheimnis?«
    »Je weniger du über mich weißt, desto besser.«
    Viviana lachte.
    »Glaube mir, ich kann das auch anders herausbekommen.«
    »Dann habe ich es dir zumindest nicht aufgedrängt.«
    Sie legte den Kopf schief.
    »Lass uns ein Spiel spielen. Ich stelle dir drei Fragen, und du kannst mir drei Fragen stellen.«
    »Gut, für wen arbeitest du wirklich?«, fragte Julian sofort.
    Viviana seufzte.
    »Drei persönliche Fragen.«
    Er überlegte einen Moment und nickte dann.
    »Du fängst an.«
    »Ist die Geschichte mit deiner verschwundenen Frau wahr?«
    »Das sind zwei Fragen in einer.«
    »Wieso?«
    »Die Frage, habe ich eine Frau und ist sie verschwunden.«
    »Warum bist du immer so kleinlich?«
    »Ich bin nicht kleinlich, ich bin nur genau.«
    Viviana blickte ihn auffordernd an.
    »Ja, die Geschichte ist wahr.«
    »Du bist dran.«
    »Ich weiß, ich denke nach.«
    Er hörte das rhythmische Klicken ihrer Fingernägel auf dem Tisch und musste lächeln.
    »Also gut. Wo kommst du her?«
    »Was genau willst du wissen? Wo ich geboren wurde, wo ich aufgewachsen bin, wo meine Familie herkommt?«
    »Ich will wissen, wo du aufgewachsen bist.«
    »In Paris.«
    Viviana nahm einen Schluck Bier und sah nachdenklich hinauf zu dem dunkler werdenden Himmel. Dann blickte sie Julian wieder an.
    »Was hat dich bewogen, ein Agent König Henrys zu werden?«
    Diese Frage hatte sich Julian schon Hunderte von Malen gestellt. Was hatte ihn tatsächlich dazu veranlasst? Die Gelegenheit einer gut bezahlten Laufbahn? Dass er diese Art von Arbeit gut machte? Treue zu seinem König? Der Glaube an Recht und Gerechtigkeit? Er wusste es nicht mehr. Er sah in Vivianas dunkle Augen, die ihn erwartungsvoll betrachteten. Warum sollte er lügen, welchen Unterschied machte es?
    »Ich kann mich nicht mehr erinnern.«
    Sie stutzte, nickte dann aber.
    »Und was hat dich dazu bewogen, das zu werden, was auch immer du jetzt bist?«, fragte Julian.
    »Es war nicht meine eigene Entscheidung.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es hat sich so ergeben.«
    »Wie, es hat sich ergeben?«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Ich war ein Kind, eine Diebin. Ich möchte sagen, man hat mein Talent entdeckt«, antwortete sie in einem Tonfall, der deutlich machte, dass dies keine tragische Geschichte war.
    Julian dachte an den kleinen Lumpenjungen in London und fand es trotzdem tragisch.
    »Und wo hast du lesen und schreiben gelernt?«
    »Ich bin dran!«
    »Verzeihung.«
    »Wenn Gott dir einen Wunsch gewährte, was würdest du dir wünschen?«
    Seine Viviana zurück, schoss es Julian durch den Kopf, die Viviana, die er in Exeter kennengelernt hatte. Oder dass er nicht so verzweifelt bedauern würde, getan zu haben, was er getan hatte. Vielleicht hätte sie sich nie erinnert, wenn er sie nicht gezwungen und auf der Wahrheit bestanden hätte? Vielleicht wäre es für immer so geblieben? Vielleicht hätten sie einander erlösen können.
    »Frieden«, sagte er schließlich.
    Er wusste nicht, wie viel von seinen Gedanken sich in

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