Das Amulett
lag wieder verlassen vor ihr.
Sie legte den Rucksack in der dunklen Seitengasse ab und huschte erneut zur Kasernenmauer. Mit Leichtigkeit schlüpften ihre Finger in die beiden präparierten Handschuhe, und schon bald erkletterte sie die glatte Außenwand. Das Harz hielt ihr Gewicht mühelos.
Sie wollte sich gerade schwungvoll über den Sims ziehen, als im Inneren des Raumes eine Tür geöffnet wurde und flackerndes Licht durch das Fenster drang. Unwillkürlich hielt Calissa den Atem an und zog sich vorsichtig näher an die Fensterkante heran, bis sie knapp darüber in den Raum spähen konnte.
Grunduul hatte das Zimmer betreten und stand neben Ul‘goths Schlafstätte. Der alte Schamane prüfte mit dem Ohr die Atmung des Hünen und schüttelte dann niedergeschlagen den Kopf.
Wieso ist er so betrübt? schoss es Calissa durch den Sinn. Selbst ich kann sehen, dass sich Ul‘goths Brustkorb regelmäßig hebt und senkt. Sie konnte sich auf das Verhalten Grunduuls keinen Reim machen, bis der alte Ork eine kleine Phiole aus seiner Tasche zog und eine grünliche Flüssigkeit in Ul‘goths Mund träufelte. Sofort schien der Orkkönig sich in schwachen Krämpfen zu schütteln, und ein leises Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Ein winziger Blutstropfen rann ihm aus der Nase, den der Schamane abwischte. Dann lag der Orkkönig wieder still, und Grunduul flüsterte ihm noch etwas ins Ohr, ehe er sich umdrehte.
Calissa duckte sich wieder hinter den Fenstersims, während ihre Gedanken sich überschlugen. Grunduul vergiftet Ul‘goth! Deswegen lässt er niemanden zu ihm.
Der alte Schamane schlurfte zufrieden durch den Raum, und ein untrügliches Knarren verriet der Diebin, dass Grunduul das Zimmer verlassen hatte.
Sie wartete noch einige Herzschläge, die laut in ihrer Brust pochten, dann schob sie sich vorsichtig über den Sims und spähte in den Raum.
Außer Ul‘goth war tatsächlich niemand mehr zugegen und auch das Licht der Fackel hatte der Schamane mitgenommen.
Calissa glitt durch das Fenster und schlich sich vorsichtig an Ul‘goths Bettstatt, einen bequemen Haufen aus weichen Fellen. Sie wappnete sich innerlich gegen ein Aufbäumen des Orks im Kampf gegen das Gift, um nicht erschreckt zu werden und sich womöglich zu verraten.
Doch bis auf ein unregelmäßiges Atmen blieb Ul‘goth reglos liegen.
Vorsichtig hielt sie die Nase über seinen Mund und sog seinen Atem ein. Sie unterdrückte ein Würgen, denn der Odem des Orks stank nach altem Speichel, Essensresten und Blut. Aber auch ein anderer Geruch schwang darin mit, ganz leicht und hintergründig. Calissa verzog das Gesicht und nahm noch einen tiefen Zug von Ul‘goths Atem, der sie fast schwindelig machte. Aber als sie sich wieder aufrichtete und zum Fenster zurückschlich, hegte sie keine Zweifel mehr.
»Halt durch, Ul‘goth«, flüsterte sie, als sie auf den Sims stieg. Ein letzter Blick versicherte ihr, dass die Straße frei war und sie mit dem Abstieg beginnen konnte. Wenig später hatte sie ihren Rucksack geschultert und huschte durch die Schatten Surdans zurück zum Arkanum, wo die anderen sie bereits erwarteten.
»Grunduul vergiftet Ul‘goth mit einer Mischung aus Mieswurz und Mondschimmel«, verkündete sie ohne Umschweife, als sie Xandors ehemaliges Arbeitszimmer erreichte. Gordan saß gemütlich in einem schweren Polstersessel, den sie aus dem Schlafgemach in den großen Vorraum getragen hatten. Nur allzu deutlich konnte man die Spuren des Kampfes gegen Xandor noch erkennen. Vor allem die Stellen, an denen die Steingolems gewütet hatten, waren auf ewig gezeichnet.
»Bist du sicher?«, fragte Faeron ernst, der bequem an einer der Steinsäulen lehnte.
Gordan zupfte nachdenklich an seinem Kinnbärtchen, sagte jedoch nichts.
»Ich bin mir völlig sicher. Ich habe früher selbst gelernt, mit Giften umzugehen«, gestand sie schließlich. Als sie Tharadors erschrockenen Blick bemerkte, beeilte sie sich hinzuzufügen: »Aber ich habe sie niemals benutzt.«
»Jedenfalls wissen wir nun, was Ul‘goth fehlt«, ergriff Gordan das Wort und lenkte damit von etwaigen unangenehmen Fragen ab, was ihm einen dankbaren Blick der Diebin einbrachte. »Grunduul will verhindern, dass Ul‘goth seine Herrschaft fortsetzt.«
»Dann lasst uns Grunduul das Handwerk legen«, schlug Khalldeg grimmig vor und spielte mit den Fingern an den Griffen seiner Berserkermesser. »Danach bleibt nur zu hoffen, dass der nächste König Ul‘goths Vision teilt.«
»Ul‘goth ist noch
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