Das Amulett
Blickes und die Effizienz seiner Bewegungen verrieten ihn. Nur geübte Kämpfer ließen selbst bei solch alltäglichen Tätigkeiten ein so hohes Maß an Körperbeherrschung erkennen.
Als Dergeron die Wagenburg schließlich erreichte, konnte er hinter der entstehenden Bühne ein niedriges Zelt erkennen. Darin saß ein hagerer Mann mit einer weiten Robe. Dergeron fühlte sich plötzlich an Xandor erinnert; beim Gedanken an den mächtigen Hexer richteten sich seine Nackenhaare auf. Dergeron wiegte den Kopf knackend zu beiden Seiten. Als er den in Pelz gehüllten Krieger ansprach, wurde seine Vermutung bestätigt. Der Alte im Zelt war der eigentliche Anführer dieser Truppe, denn der fremde Krieger blicke ihn fragend an und wandte sich erst auf ein Nicken des Alten hin Dergeron zu.
»Wie kann ich Euch helfen?«, fragte der Fremde höflich, wenngleich ohne jede Freundlichkeit in der Stimme.
Dergeron ließ sich davon nicht beeindrucken und antwortete ebenso kalt: »Indem Ihr mir Euren Namen nennt und was Ihr in Totenfels vorhabt.«
Der Fremde zog die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, doch einen Lidschlag später zierte ein aufgesetztes Lächeln sein Gesicht: »Dies hier«, verkündete er laut und deutlich, sodass alle umstehenden Bürger es hören konnten, »wird die Bühne für den Zirkus des wunderbaren Shango Tizir!« Plötzlich sprach er mit einem merkwürdigen Akzent, den Dergeron noch nie zuvor gehört hatte. Die Gaukler mussten von weit aus dem Osten stammen. Dergeron war selbst nie weit in diese Richtung gereist. Tatsächlich war Totenfels die östlichste Stadt, die der Krieger je betreten hatte. »Schon heute Abend könnt ihr alle die Wunder des Zirkus erleben!«, fuhr der Fremde fort. »Vergesst den Alltag, wenn ihr Zeugen werdet, wie Menschen Feuer spucken wie Drachen, wie sie Schwerter die Kehle hinabgleiten lassen wie ein kühles Bier! Bestaunt die Frau ohne Schmerzen, versucht euer Glück im Armdrücken gegen den stärksten Mann der Welt!« Er badete noch einen kurzen Augenblick in der aufkommenden Begeisterung der Menge, dann wandte er sich wieder Dergeron zu, das Gesicht wieder eine steinerne Maske: »Das ist Shangos Vorhaben«, flüsterte er verheißungsvoll. »Den Pöbel zu begeistern.«
»Ich bin nicht im Mindesten an Shango interessiert«, erwiderte Dergeron trocken. »Doch wenn Ihr mir nicht sofort Euren Namen nennt, werde ich Euch mein Schwert schlucken lassen. Mal sehen, wie es Euch bekommt.«
Dergerons unverhohlene Art schien den Fremden zu überraschen, jedoch nicht zu verunsichern. Er schenkte dem Kommandanten ein anerkennendes Nicken und das erste ehrliche Lächeln seit ihrer Begegnung. »Dann verzeiht meine Unhöflichkeit«, flötete er unter einer übertriebenen Verbeugung. »Ich bin Cantas Verren, der Meister der Vorführung.«
»Die Dauer einer Mondphase«, sagte Dergeron knapp, »dann seid ihr alle aus meiner Stadt verschwunden.«
»Gewiss, Herr«, säuselte Verren unter einer erneuten Verbeugung.
* * *
»Trink, mein König«, flüsterte Grunduul, während er Ul‘goth wieder eine tägliche Ration Gift verabreichte. Verflucht! durchfuhr es den alten Schamanen, als der grünliche Saft keine sichtbare Wirkung zeigte. Ul‘goths Atmung ging unvermindert kräftig, auch die sonst üblichen Schüttelkrämpfe blieben aus. Er scheint eine natürliche Widerstandsfähigkeit dagegen zu besitzen, dachte der alte Ork. Doch noch mehr Gift würde seine Haut verfärben und Gallaks Misstrauen erwecken.
»Warum willst du nicht wenigstens für dein Volk sterben?«, fragte er im Flüsterton.
»Hat er etwas gesagt?«, erkundigte Gallak sich aufgeregt und trat rasch näher.
»Nein, nein.« Grunduul schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, er wird nicht mehr aufwachen.«
»Sag so etwas nicht, Schamane!«
»Wir müssen uns der Wahrheit stellen!«, gab Grunduul eindringlich zurück. »Unser König stirbt. Und wir brauchen einen starken Anführer, wenn wir in dieser Welt überleben wollen.«
Gallak legte die Stirn in Falten. »Er ist aber noch nicht tot.«
»Mit jedem Tag, den wir warten, verlieren wir wertvolle Zeit«, beharrte Grunduul. »Ich werde eine Versammlung einberufen. Noch heute Mittag. Wir müssen einen neuen König bestimmen.«
Der Schamane wollte sich gerade umdrehen und gehen, doch Gallak hielt ihn am Arm zurück. »Du warst immer Ul‘goths größter Fürsprecher, Grunduul. Was ist geschehen?«
Der alte Ork grunzte und riss seinen Arm frei. Dann schlurfte er hinaus, und Gallak
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