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Das Amulett

Das Amulett

Titel: Das Amulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan R. Bellem
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»Abergläubisches Geschwätz, weiter nichts.«
    »Hinter jedem Aberglauben steckt auch ein Fünkchen Wahrheit«, gab Lantuk zu bedenken.
    »Solche Geschichten gewinnen nur dann an Macht, wenn man an sie glaubt, und das habe ich nicht vor«, konterte Kordal entschlossen. »Wir werden die Goblins verfolgen. Wenigstens so lange, bis wir wissen, ob sie für die Stadt oder die Flüchtlinge noch eine Bedrohung darstellen.«
    Lantuk blickte dem Freund lange in die Augen. »Du kannst nicht ungeschehen machen, was diese Monster angerichtet haben.« Und wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zog er die Kapuze vom Kopf und entblößte seine grausamen Verletzungen. Das linke Ohr war ihm von einem Goblinschwert abgeschnitten worden. Um Wundbrand zu verhindern, hatte man mangels Zeit die Wunde ausgebrannt. Rotglühende Narben zogen sich über seine Wange und die linke Seite des Schädels, auf der kein Haar mehr wuchs. Seine linke Gesichtshälfte war durch die Vernarbung beinah völlig steif, weshalb er Schwierigkeiten beim Sprechen hatte. »Der Krieg hinterlässt stets seine Narben.«
    Kordal nickte seufzend: »Mag sein, aber als Soldat Ma‘vols kann ich nicht anders. Ich muss wissen, ob für die Stadt noch eine Bedrohung besteht. Das sind wir Brazuk und all den Männern und Frauen schuldig, die er beschützt. Und Omuk.«
    Lantuk blickte Hilfe suchend zu Daavir, doch der zuckte lediglich mit den Achseln und wandte sich wieder den Abdrücken der Goblins zu. Bevor sie das Nachtlager aufschlugen, könnten sie der Spur noch fast zwei Stunden folgen.
    * * *
    Gegen Abend hatte in Totenfels der erste Schneefall des Winters eingesetzt. Kleine Flocken rieselten träge vom Himmel und legten sich als feines Pulver auf Dächer und Straßen. Es war noch nicht annähernd kalt genug, und so verwandelte sich die weiße Pracht schon kurz darauf in einen nassen Matsch, der die schlecht gepflasterten Wege in eine rutschige Gefahr verwandelte.
    Dergeron betrachtete das Schauspiel von seinem Arbeitszimmer aus. Er genoss die stillen Abende allein am Fenster. Dann ließ er den Blick über seine kleine Eroberung schweifen. Der Krieger betrachtete Totenfels zunehmend als sein Eigentum. Für Dergeron bestand kein Zweifel daran, dass er den Grafen schon bald entmachten würde. Als Graf dieser Ländereien wäre er endlich ein größerer Mann, als Tharador es je sein würde. Dann könnten sie sich wieder gegenübertreten, und Dergeron könnte dem einstigen Freund beweisen, dass er der Bessere von ihnen beiden war. Seine Rache wäre perfekt.
    Er konnte die Bilder deutlich vor sich sehen: Die große Kathedrale von Berenth, die man zum königlichen Palast umgebaut hatte, lag unmittelbar vor ihm. Er selbst stand an der Spitze einer schier endlosen Armee. Männer und Frauen in den Farben aller Grafschaften und Baronien, aller Herzogtümer und Nomadenstämme hatten sich unter seinem Befehl versammelt. Er schlug das Tor entzwei und betrat den prächtigen Innenhof des Palastes. Vor ihm standen Tharador und König Jorgan; beide knieten vor ihm nieder und flehten um Erbarmen. Doch Dergeron kannte keine Gnade mit ihnen. Ein einziger Hieb seines Schwertes enthauptete die beiden Männer und ließ ihre leblosen Körper zu Boden kippen. Noch in der Bewegung fing Dergeron die königliche Krone und setzte sie sich in einer fließenden Geste aufs Haupt. Seine Armee, die Menschen in Berenth, ja überall in Kanduras, sie alle jubelten ihrem neuen Herrscher zu.
    Dergeron blinzelte den Tagtraum beiseite und blickte wieder zum Fenster hinaus. Auf der Straße unter seinem Fenster war gerade eine alte Frau auf der glatten Straße ausgerutscht. Sie hatte einen schweren Korb mit Brennholz getragen, das nun überall verstreut lag. Die Alte hatte sichtlich Mühe ihre Habseligkeiten wieder aufzulesen, doch schließlich setzte sie ihren Weg fort. Dergerons Mundwinkel verzogen sich zu einem zufriedenen Lächeln, und seine Finger strichen beiläufig über den Anhänger um seinen Hals. Erneuter Schneefall setzte ein, und der Kommandant entzündete eine weitere Öllampe, um der fortschreitenden Dunkelheit zu trotzen.
    * * *
    Sie hatten die ersten Stunden ihrer Reise schweigend verbracht. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, und die zunehmende Kälte ließ sie sich alle eng in ihre Fellumhänge wickeln, was sie zusätzlich voneinander abkapselte.
    Als sie an einen schmalen Bach gelangten, blieb Tharador unvermittelt stehen. Die Sonne war bereits im Untergehen begriffen und wirkte

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