Das Amulett
zu einem Verbündeten gemacht hatte. Die Vorstellung ließ sie erzittern. Dergeron allein schien ein sehr mächtiger Gegner zu sein; sollte er obendrein Hilfe von Tizir erhalten, wäre ihre Lage aussichtsloser als noch vor wenigen Tagen.
Die Magierin erkannte, dass sie sich nicht auf Dergerons Hilfe verlassen durfte. Aber immerhin war Tizir fort und sie somit endlich frei. Sollte der greise Widerling sich je wieder in ihre Nähe wagen, hätte sie Möglichkeiten, sich zu schützen. Eine solche Möglichkeit ging ihr gerade durch den Kopf.
Graf Totenfels war höchst überrascht, als die Tür seines Kaminzimmers sich öffnete und die zierliche Gestalt der wunderschönen Alynéa eintrat. Der Anblick der jungen Frau versetzte ihn in helle Freude; er verschwendete keinen Gedanken daran, dass keiner seiner Diener ihm ihre Ankunft gemeldet hatte.
»Welch Hochgenuss, Euch heute zu sehen, meine Liebe«, säuselte er von seinem bequemen Ohrensessel vor dem Kamin aus.
Alynéa verneigte sich mit einem eleganten Kniefall und senkte das Haupt ehrfürchtig. »Verzeiht, Graf, dass ich Euch so überrasche«, begann sie, »doch ich trage Wissen in mir, das mein Herz belastet.«
»So?« Totenfels wurde hellhörig. »Wissen welcher Art?«
»Ich hege den Verdacht, dass Euer Kommandant ein doppeltes Spiel mit Euch treibt. Ich habe ein Gespräch zwischen ihm und seinem Stellvertreter belauscht.«
Zu Alynéas Verwunderung schien der Graf nicht im Mindesten überrascht, sondern eher belustigt zu sein, denn seine Lippen formten ein gönnerhaftes Lächeln. »So früh schon? Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut.«
»Ich verstehe nicht ganz«, log Alynéa, denn in Wahrheit begann sie sehr wohl, das perfide Spiel, das die beiden Männer miteinander trieben, zu durchschauen. »Ihr habt bereits Verrat geahnt?«
»Natürlich«, erwiderte Totenfels. »Dergeron Karolus ist ein ehrgeiziger Mann, der sich nicht mit dem zweiten Rang zufriedengibt. Ich hätte jedoch erwartet, dass er vorsichtiger sei. Wie kommt Ihr zu diesem Wissen?«, fragte er.
Alynéa spielte weiter die Rolle der Unschuldigen. »Mein Meister, Shango Tizir, verlangte von mir, Dergeron und Euch für ihn auskundschaften. Ich hatte keine Wahl. Er hätte mich getötet.«
»Welch eine Verschwendung«, hänselte Totenfels sie. »Aber wie kommt es dann, dass der Zirkus die Stadt verlässt, und Ihr seid noch hier?«
»Tizir hat mich zurückgelassen. Auf Geheiß Eures Kommandanten. Ich weiß nicht, was die beiden im Schilde führen.«
»Ihr seid entweder sehr tapfer oder äußerst töricht, mir so offen von Euren Ränken zu erzählen«, meinte der Graf.
»Verzeiht«, unterbrach sie ihn. Jetzt werden wir sehen, wie gerissen du bist , dachte sie und sagte: »Ich lege mein Leben in Eure Hand; glaubt mir, ich hätte Euch nach unserer gemeinsamen Zeit nicht weiter hintergehen können.«
Nun zeigte sich echte Überraschung auf dem Gesicht ihres Gegenübers. Alynéa wusste durch ihre aufmerksamen Ohren, dass der Graf seit vielen Jahren in Einsamkeit lebte – einer Einsamkeit, die von tiefer Trauer über den Verlust seiner Frau begleitet wurde. Und seine Reaktion verriet ihr, dass sie richtig vermutet hatte.
»Ich kann Euch nun also vertrauen?«, fragte er mit prüfendem Blick.
»Bei meinem Leben, ich bin Euch treu ergeben«, log sie innbrünstig.
»Dann erzählt mir alles, was Ihr über meinen Kommandanten in Erfahrung gebracht habt«, forderte der Graf sie mit einem zufriedenen Lächeln auf.
* * *
Mit geübten Fingern öffnete er die Schnallen seines Hartlederharnischs. Rüstungen waren beim Grabenkampf von jeher verboten, und er hatte nicht vor, dieses eherne Gesetz seiner Ahnen zu brechen. Zudem begrüßte er die größere Bewegungsfreiheit, die ihm der leichte Lendenschurz im Vergleich zu dicken Hosen gewährte. Als sie Surdan eingenommen hatten, war er in mehrere Schichten dickes Leder gehüllt und zusätzlich von Fellen bedeckt gewesen. Damals war er an Ul‘goths Seite in die Stadt einmarschiert, und sie hatten gemeinsam den Sieg gefeiert. Diese Tage schienen unendlich weit entfernt.
Zuletzt gürtete er seine beiden Haumesser. Gallak bevorzugte einen schnellen Kampfstil mit zwei Waffen, bei dem er den Gegner ständig unter Druck setzen konnte, und er war überaus geschickt im Umgang mit den unhandlichen Klingen. Wurlagh würde mit Sicherheit Wantois Orkmesser führen, allerdings war er nicht annähernd so geübt darin, wie sein Vater es gewesen war. Dennoch, ein Treffer der
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