Das Amulett
erleichtert. Dann wagte er sich noch weiter vorn: »Bedenkt nur, dass sie dem Grafen mittlerweile sehr nahe steht.«
Dergeron entfuhr ein leises Knurren. Alynéa war Totenfels in letzter Zeit tatsächlich sehr nahe gekommen, fast zu nahe. »Du denkst, sie versucht, uns gegeneinander auszuspielen?«
»Ich fürchte, die Möglichkeit besteht.«
Dergeron schwieg und rieb sich mit der linken Hand das Kinn. Seine Finger kratzten über Bartstoppel und erzeugten ein leises Schaben. Dergeron liebte dieses Geräusch, denn auf unerklärliche Weise vermittelte es ihm ein Gefühl der Sicherheit. »Du wirst von nun an den Grafen begleiten – heimlich. Wir werden dich zu seinem neuen Leibwächter ernennen«, beschloss der Krieger. »Und du erstattest mir jeden Abend ausführlich Bericht.«
»Ihr wollt, dass ich den Grafen beschatte?«, fragte Bengram überrascht.
Dergeron grinste verschwörerisch. »Du sollst ihn beschützen, ohne ihn zu sehr in seinen täglichen Geschäften zu behindern, Hagstad.«
»Wie Ihr befehlt, Kommandant«, stimmte Bengram untertänig zu und verließ eilig das Arbeitszimmer seines Vorgesetzten, um der Anordnung Folge zu leisten.
Das Buch! zischte Pharg‘inyons Stimme in Dergerons Kopf. Konzentrier dich auf das Buch, dann bin ich frei. Dann können wir alles erreichen!
»Ich weiß nicht, wo das Buch ist«, gestand Dergeron.
Aber du weißt, dass Gordan es weiß!, zischte der Dämon grimmig.
»Xandor hat das behauptet, ja«, räumte Dergeron ein. Der Gedanke an Gordan verursachte ihm beinah körperliche Schmerzen. Aus unerfindlichem Grund fühlte es sich an, als brenne der bloße Name des Magiers ein Loch in seinen Geist.
Gordan! Finde ihn! Finde das Buch und befrei mich!
Mit einem Mal erkannte Dergeron, was die Quelle seiner Schmerzen war. Pharg‘inyon quälte ihn, um ihn gefügig zu machen. Der Dämon schien selbst keine Möglichkeit zu haben, nach dem Greis oder dem Buch Karand zu suchen.
»Ich kann das Buch nur aus einer starken Position heraus suchen. Wenn ich jetzt gehe, verliere ich alles. Erst Totenfels, dann das Buch«, entgegnete er bestimmt.
Totenfels ist unwichtig! beharrte der Dämon. Nur das Buch ist von Bedeutung.
»Nicht für mich«, widersprach der Krieger.
Ja, für dich zählt nur deine persönlich Rache, nicht wahr?
Dergeron schwieg. Er wusste, dass Pharg‘inyon seine Gedanken las, dennoch wollte er seine Unsicherheit nicht laut aussprechen. Tatsächlich wusste Dergeron nicht, was ihm etwas bedeutete. Langte hatte er geglaubt, es sei Rache an Tharador.
Doch von Tag zu Tag spürte der Krieger deutlicher, dass er neben seinen Rachegelüsten einen unbändigen Durst nach Macht verspürte. Totenfels sollte der Beginn werden – der Beginn seiner Herrschaft. Er wollte den ganzen Norden und später den gesamten Kontinent. Dergeron verstand nur nicht, weshalb.
Du willst es, weil es richtig ist. Du willst es, weil es der einzig mögliche Weg für dich ist. Pharg‘inyon verstand es vortrefflich, Gedanken anderer zu beeinflussen. Du musst nicht selbst danach suchen , fuhr der Dämon fort. Nutze deinen neuen Verbündeten. Nutze Tizir! Mit dem Buch Karand und mir an deiner Seite kann niemand gegen dich bestehen!
Dergeron dachte lange über die letzten Worte des Dämons nach. Er konnte nicht leugnen, dass sein eigenes Interesse an dem Buch wuchs. Ein Gegenstand, der so mächtig war, dass Xandor eine ganze Stadt dafür geopfert hatte. Eine Waffe, die selbst die Götter fürchteten.
Dergeron wollte diese Macht.
Eilig schrieb er auf ein kleines Pergament einige Anweisungen. Danach faltete er das Blatt sorgsam zusammen und verschloss es mit einem Tropfen Siegelwachs. Er rief einen Boten herein. »Bring diese Nachricht so schnell wie möglich zu Shango Tizir«, trug er dem Bediensteten auf, einem Knaben mit pickligem Gesicht. »Ihm persönlich. Sag, dass ich dich schicke. Und nun geh!«
Er würde diese Macht bekommen!
* * *
Sie verfluchte den eitlen Krieger für sein Handeln. Dergerons Aufgabe war so unmissverständlich wie ihr Handel gewesen. Dieser selbstgerechte Narr. Tizir am Leben zu lassen, war ein gefährliches Spiel. Männern wie Tizir behagte es nicht, im Abseits zu stehen. Früher oder später würde er versuchen, Rache zu üben.
Alynéa erkannte, dass sie sich vor dieser Rache fürchtete, denn zweifelsohne würde Tizir sie erneut unter seine Herrschaft zwingen. Sie wusste nicht, was Dergeron ihm erzählt hatte, doch seine Worte ließen sie vermuten, dass er Tizir sogar
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