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Das Anastasia-Syndrom

Titel: Das Anastasia-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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verängstigte Wimmern eines Kindes.
    »Was ist geschehen? Erzähl’s mir.« Patels Stimme klang sanft und freundlich.
    Judith hielt sich krampfhaft an der Decke fest und jammerte laut nach ihrer Mutter. »Sie kommen wieder, genau wie da, wo wir gespielt haben. Mami hat gesagt: ›Lauf, lauf!‹ Mami wollte mich nicht an die Hand nehmen. Es ist so dunkel… Ich renne die Treppe rauf. Der Zug ist da… Mama hat gesagt, wir wollen mit dem Zug fahren.«
    »Bist du in den Zug eingestiegen, Judith?«
    »Ja. Ja.«
    »Hast du mit jemand gesprochen?«
    »Da war niemand. Ich war so müde. Ich wollte schlafen, damit Mami da ist, wenn ich aufwache.«
    »Wann bist du aufgewacht?«
    »Der Zug hat gehalten. Es war wieder hell. Ich bin die Treppe runtergegangen… Danach kann ich mich an nichts erinnern.«
    »Schon gut. Denk nicht mehr daran. Du bist ein gescheites kleines Mädchen. Kannst du mir sagen, wie du heißt?«
    »Sarah Marrssh.«
    Marsh oder Marrish, dachte Rebecca. Judith sprach jetzt wie eine Zweijährige.
    »Wie alt bist du, Sarah?«
    »Zwei.«
    »Weißt du, wann du Geburtstag hast?«
    »Vier’n Mai.«
    Rebecca schaltete auf volle Lautstärke, machte sich Notizen, wobei sie Mühe hatte, das Kleinkindgetuschel zu deuten.

    »Wo wohnst du, Sarah?«
    »Kent Court.«
    »Bist du gern dort?«
    »Mami weint dauernd. Molly und ich spielen.«
    »Molly? Wer ist Molly, Sarah?«
    »Meine Schwester. Ich will zu Mami. Ich will zu meiner Schwester.«
    Judith begann zu weinen.
    Rebecca beobachtete den Monitor. »Steigende Pulsfrequenz.
    Sie wehrt sich wieder gegen Sie.«
    »Wir hören jetzt auf«, erklärte Patel. Er berührte Judiths Hand. »Judith, Sie werden jetzt aufwachen. Sie fühlen sich ausgeruht, frisch und munter. Sie erinnern sich an alles, was Sie mir erzählt haben.«
    Rebecca seufzte erleichtert auf. Gott sei Dank, dachte sie. Sie wußte, wie Patel darauf brannte, mit Litencum zu experimentie-ren. Sie wollte den Fernseher ausschalten und erstarrte, als sie in Judiths angstverzerrtes Gesicht blickte, ihren Aufschrei hörte:
    »Halt! Tut ihr das nicht an!«
    Die Meßdaten auf den Monitoren gerieten aus den Fugen.
    »Herzflimmern«, erklärte Rebecca knapp.
    Patel ergriff Judiths Hände. »Hören Sie zu, Judith. Sie müssen mir gehorchen.«
    Doch Judith konnte ihn nicht hören. Sie stand auf einem Richtblock vor dem Tower – am 10. Dezember 1660…

    Entsetzt beobachtete sie, wie eine Frau in dunkelgrünem Kleid und Cape an den Toren des Tower vorbei durch die johlende Menge geführt wurde. Ihrem Aussehen nach mußte sie Ende Vierzig sein. Ihr kastanienbraunes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Sie ging aufrecht, ohne die Wächter, die sich um sie scharten, eines Blickes zu würdigen. Ihre schön gemei-
    ßelten Züge waren zu einer von Wut und Haßerfüllten Maske erstarrt. Man hatte ihr die Hände vorne mit dünnen, drahtarti-gen Schnüren zusammengebunden. Unten am Daumen glänzte eine rote sichelförmige Narbe im Morgenlicht.
    Judith sah, daß die Menge sich teilte, um Dutzenden von Soldaten Platz zu machen, die in geordneter Formation auf eine drapierte Einfassung neben dem Richtblick zumarschierten. Die Reihen öffneten sich, um einen schlanken jungen Mann mit Fe-derhut, dunklen Kniehosen und besticktem Wams vortreten zu lassen. Die Menge brach in lauten Jubel aus, als Karl II. die Hand zum Gruß hob.
    Wie in einem Alptraum sah Judith die Frau, die zum Richtblock geführt wurde, vor einem langen Pfahl innehalten, auf den ein Schädel aufgespießt war. »Marsch, vorwärts«, befahl ein Soldat und versetzte ihr einen Stoß.
    »Verwehrt ihr mir, von meinem Gatten Abschied zu nehmen«
    fragte sie voll eisiger Verachtung.
    Die Soldaten drängten sie zu dem Platz, wo jetzt der König saß. Der neben ihm stehende Würdenträger verlas eine Schrift-rolle. »Lady Margaret Carew, Seine Majestät hat es für unziemlich erachtet, daß Ihr gehenkt, ausgeweidet und gevierteilt wer-det.«
    Das Volk in unmittelbarer Nähe begann aufzuheulen. »Sieht die inwendig etwa anders aus wie meine Frau?« brüllte einer.
    Die Frau beobachtet sie nicht. »Simon Hallett«, sagte sie erbittert, »Ihr habt meinen Gatten verraten. Ihr habt mich verraten. Und sei’s aus der Hölle, ich werde einen Weg finden, das an Euch und den Euren zu ahnden.«
    »Kein Wort mehr.« Der Befehlshaber der Wachmannschaft packte die Frau und versuchte, sie zu der Plattform zu drängen, wo der Henker wartete. Mit einer letzten herausfordernden Bewegung wandte

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