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Das Anastasia-Syndrom

Titel: Das Anastasia-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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sie den Kopf und spuckte dem König auf den Fuß.

    »Lügner!« schrie sie. »Ihr habt Gnade verheißen, Lügner.
    Ein Jammer, daß man Eurer nicht habhaft wurde, als es Euren Vater den Kopf kostete.«
    Ein Soldat versetzte ihr einen Schlag auf den Mund und zerrte sie weiter. »Dieser Tod ist zu gut für Euch. Wenn es nach mir ginge, würde ich Euch pfählen und auf dem Scheiterhaufen verbrennen.«
    Judith rang nach Luft, als sie entdeckte, daß sie und die Gefangene einander verblüffend ähnelten. Lady Margaret wurde auf die Knie gezwungen. »Untersteht Euch, das wieder herun-terzuziehen«, höhnte ein Soldat, als er ihr eine weiße Kappe über das Haar stülpte.
    Der Henker hob das Beil. Es schwebte sekundenlang über dem Richtblock. Lady Margaret wandte den Kopf. Sie durch-bohrte Judith mit den Blicken – fordernd, zwingend. Judith schrie: »Halt! Tut ihr das nicht an!« Sie stürzte auf das Schafott, warf sich zu Boden und umfing die Verurteilte, als das Beil her-absauste.

    Judith schlug die Augen auf. Dr. Patel und Rebecca Wadley standen über sie gebeugt. Sie lächelte ihnen zu. »Sarah«, sagte sie. »So heiß ich in Wirklichkeit, stimmt’s?«
    »An wieviel von dem, was Sie uns erzählt haben, erinnern Sie sich noch?« fragte Patel vorsichtig.
    »Kent Court. Das ist doch die Straße, von der ich gesprochen habe? Ich erinnere mich jetzt. Meine Mutter. Wir waren in der Nähe vom Bahnhof. Sie hielt mich an der Hand, mich und meine Schwester. Die Raketen, ich meine wohl die Vl, kamen. Am Himmel ein Dröhnen, wie Flugzeuge. Die Sirenen. Das Moto-rengeräusch verstummte. Und dann überall schreiende Menschen. Irgend etwas traf mich im Gesicht. Ich konnte meine Mutter nicht finden. Ich rannte und kletterte in den Zug. Und mein Name – Sarah, das hab ich Ihnen erzählt. Und dann Marsh oder Marrish.« Sie stand auf und ergriff Patels Hand. »Wie soll ich Ihnen danken? Zumindest habe ich jetzt einen Ausgangs-punkt für meine Suche. Direkt hier in London.«
    »Was war das letzte, woran Sie sich erinnern, bevor ich Sie aufweckte?«
    »Molly. Ich hatte eine Schwester, Doktor! Auch wenn sie an jenem Tag starb, auch wenn Mutter an jenem Tag starb, so weiß ich doch jetzt etwas über sie. Ich werde im Geburtenregister nachforschen, bis ich die kleine Sarah gefunden habe – das Kind, das ich damals war.«
    Judith knöpfte die Bluse zu, rollte den Ärmel herunter, fuhr mit den Fingern durchs Haar, bückte sich nach ihren Stiefeln.
    »Falls ich meine Geburtsurkunde nicht aufspüren sollte, können Sie mich dann noch mal hypnotisieren?«
    »Nein«, erklärte Patel bestimmt. »Zumindest vorläufig nicht.«

    Nachdem er Judith verabschiedet hatte, ging Patel wieder ins Labor zu Rebecca. »Zeigen Sie die letzten paar Minuten des Bandes.«
    Bedrückt sahen sie, wie Judiths Ausdruck sich von Schock und Entsetzen in erbitterte Wut verwandelte, hörten wieder ihren Aufschrei: »Halt! Tut ihr das nicht an!«
    »Was soll man ihr nicht antun?« fragte Rebecca. »Was hat Judith Chase erlebt?«
    Patel runzelte die Stirn, in seinen Augen spiegelte sich quä-
    lende Sorge. »Keine Ahnung. Sie hatten recht, Rebecca. Ich hätte ihr niemals Litencum injizieren dürfen. Aber vielleicht ist ja auch alles in Ordnung. Was immer sie erlebt haben mag, es ist ihr jedenfalls nichts davon im Gedächtnis geblieben.«
    »Das wissen wir nicht«, wandte Rebecca ein. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich habe Sie zu warnen versucht, Reza. Sie dürfen nicht mit unseren Patienten herumexperimen-tieren, so gern Sie ihnen auch helfen möchten. Judith Chase geht es dem Anschein nach gut. Geb’s Gott, daß es auch stimmt.«
    Rebecca hielt inne. »Mir ist da nur etwas aufgefallen, Reza. Hatte Judith unter dem rechten Daumen eine blasse sichelförmige Narbe, als sie herkam? Ich habe keine Spur davon bemerkt, als ich auf dem Handrücken die Vene für die Injektionsnadel suchte. Aber schauen Sie sich die letzte Sequenz vor dem Aufwachen an. Jetzt hat sie eine.«

    Stephen Hallett hatte keinen Blick für die liebliche englische Landschaft, über der an diesem sonnigen Nachmittag bereits ein Hauch von Vorfrühling lag, als er nach Chequers, dem Landsitz der Premierministerin, chauffiert wurde. Sie war nach ihrem kurzen Auftritt auf Fionas Party dorthin gefahren. Daß sie ihn plötzlich morgens zu sich zitiert hatte, konnte nur eines bedeuten: Endlich würde sie ihm mitteilen, daß sie zurückzutreten gedachte, und sich dazu äußern, welchen Kandidaten

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