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Das Anastasia-Syndrom

Titel: Das Anastasia-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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zunehmend, dacht sie vergnügt. Morgen würde sie mit der Nachforschung im Geburtenregister beginnen. Sie konnte nur hoffen, daß sie in London zur Welt gekommen war. Wenn sie sich richtig an ihren Namen und des Geburtsdatum erinnert hatte, würde das die Suche enorm erleichtern. Kein Wunder, daß man sie nicht identifizieren konnte. Wenn sie in London in einen Zug geklettert und in Salisbury ausgestiegen war und dann die Erinnerung an das Ge-schehene verdrängt hatte, würde das erklären, warum sich niemand gemeldet und Anspruch auf sie erhoben hatte. Sie war überzeugt davon, daß ihre Mutter und Molly an jenem Tag umgekommen sein mußten. Aber Vettern oder Kusinen, dachte Judith. Wer weiß, vielleicht habe ich zahlreiche Verwandte, die gleich um die Ecke wohnen.
    »Wir sind da, Miß.«
    »Oh.« Sie kramte nach ihrer Geldbörse. »Ich habe offenbar geträumt.«
    In der Wohnung machte sie sich eine Tasse Tee und setzte sich sofort an den Schreibtisch. Ja, morgen wäre noch Zeit genug, mit der Suche nach Sarah Marrish anzufangen. Heute sollte sie es besser bei Judith Chase belassen und weiter an ihrem Buch schreiben. Sie las die Notizen durch, die sie sich im Staatsarchiv gemacht hatte, und grübelte wieder darüber nach, was für ein Verbrechen diese Lady Margaret Carew, die in Gegenwart des Königs hingerichtet wurde, wohl begangen haben mochte.
    Es war kurz vor 18 Uhr, als Stephen anrief. Das schrille Läuten schreckte Judith auf, die sich wie immer völlig auf das Schreiben konzentriert und die Umwelt vergessen hatte. Erstaunt stellte sie fest, wieviel Zeit verstrichen war, und daß au-
    ßer der Schreibtischlampe in der ganzen Wohnung nirgends Licht brannte. Sie angelte nach dem Telefon. »Hallo.«

    »Stimmt etwas nicht. Darling? Du klingst so verstört.« Stephen hörte sich besorgt an.
    »Nein, alles bestens. Ich bin bloß in anderen Welten, wenn ich schreibe, und brauche ein bis zwei Minuten, um wieder auf die Erde zurückzufinden.«
    »Deshalb bist du auch eine so gute Schriftstellerin. Essen wir heute abend bei mir? Ich habe recht interessante Neuigkeiten.«
    »Und ich habe interessante Neuigkeiten für dich. Wann?«
    »Paßt dir 20 Uhr? Ich schicke den Wagen.«
    »Ausgezeichnet.«
    Lächelnd legte sie den Hörer auf. Sie wußte, Stephen haßte lange, zeitraubende Telefongespräche und schaffte es trotzdem immer, sich kurz zu fassen, ohne schroff zu wirken. Sie fand, sie habe für einen Tag genug gearbeitet, knipste das Licht an, während sie das Wohnzimmer und den schmalen Korridor zum Schlafzimmer durchquerte.
    Das ist auch ein ganz typischer britischer Zug an mir, dachte sie, als sie ein paar Minuten später entspannt im dampfenden, parfümierten Wasser lag. Ich liebe diese langen gußeisernen Badewannen mit den Klauenfüßen.
    Sie hatte Zeit, sich kurz auszuruhen, legte sich ins Bett und zog die Steppdecke hoch. Was gab es wohl Neues bei Stephen?
    Er hatte sich beinahe unverbindlich angehört, also konnte es nichts mit der Wahl zu tun haben, oder? Nein, natürlich nicht.
    So viel kaltblütige Gelassenheit brachte nicht einmal er auf.
    Judith entschied sich für ein bedrucktes Seidenkleid, das sie in Italien gekauft hatte. Die kräftigen Farben erinnerten sie irgendwie an die Palette eines ungestümen Fauvisten. Mit diesem Kleid konnte sie den mittlerweile verhangenen Januarabend auf-hellen. Es paßte vorzüglich zu den erfreulichen Nachrichten, die sie für ihn hatte. »Wie gefällt dir der Name Sarah, Stephen?«
    Sie trug das Haar, das gerade bis zum Kragen fiel, offen. Die Perlenkette, die ihrer Mutter, ihrer Adoptiv mutter, gehört hatte.
    Die in Diamanten gefaßten Perlohrringe, das schmale Diamant-armband. Ein festlicher Abend. Und man sieht dir dein Alter nicht an, versicherte sie ihrem Spiegelbild. Und dann dachte sie
    – ich bin heute kurzfristig in eine Zweijährige verwandelt worden. Vielleicht wirkt das verjüngend. Bei dieser Vorstellung mußte sie lächeln. Sie blickte auf ihre Hände hinunter und überlegte, welche Ringe sie anziehen sollte.
    Und dann bemerkte sie die verblaßte sichelförmige Narbe unter dem Daumengelenk. Stirnrunzelnd versuchte sie sich zu erinnern, wie lange sie die schon hatte. Als Teenager hatte sie sich die Hand in einer Wagentür geklemmt und schwere Schnitte und Quetschungen davongetragen. Es hatte lange gedauert, bis die Narben von der plastischen Chirurgie verheilt waren.
    Und jetzt wird eine wieder sichtbar, dachte sie. Großartig!
    19 Uhr 55. Sie wußte,

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