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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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also kein zufälliges Wiedersehen nach dem Krieg, zumindest nicht für Willi Weiss.
    Alles was er zu tun hatte, war zu plaudern. Und dem Geplauder Zwinker-Kilians zuzuhören. Damit er auch nichts vergessen konnte, hatte er oft ein Taschen-Tonbandgerät unter der Weste und ein Mikrofon in der Brusttasche. So wollte es der Hofrat. Aber das ging nur im Winter. Im Sommer mußte er sein Erinnerungsvermögen mehr strapazieren.
    Die Sache lief ziemlich lange, und je länger sie lief, desto mieser fühlte sich Willi Weiss dabei. Seine Berufsmoral, seine selbstgestrickte, wurde ordentlich gedehnt. Aber irgendwie hielt sie, denn junge Menschen denken ja nicht immer darüber nach, was gut und was schlecht ist. Und Willi tat es auch nicht. Dann kam ohnehin die große Sache mit Sonja Tamara Beizin, und Zwinker-Kilian war nicht mehr wichtig.
    Der Zug stand wieder. Es regnete immer noch. Bill Weiss hörte seine Muttersprache. »Paßkontrolle«, hörte er sagen, immer wider. Die Stimmen gingen an seinem Abteil vorbei, der Schlafwagenschaffner funktionierte also. Wirklich höchste Zeit zu schlafen, dachte Bill, in sieben Stunden würde er in Wien sein.

 

    V
    Chef der Wiener Staatspolizei im Jahre 1975 war Polizeirat Dr. Hammerlang. Man könnte sagen, so sieht er auch aus. Er war einen Meter neunzig lang, und alles an ihm war Hammer. Schuhgröße fünfzig und Hände, großer Gott, solche Hände hatte man noch nicht gesehen. Einen Fußball griff er wie normale Mitteleuropäer einen Tennisball. Handschuhe für ihn existierten nicht in Konfektionsgröße. Das waren aber seine geringsten Sorgen, er trug ohnehin keine. Amtsdiener Hosbrzovsky sagte in der Polizeikantine: »Hammerlang hat Pratzen, groß wie Scheißheisldeckel.« Hosbrzovsky stammte aus Brunn. Obwohl dreißig Jahre im österreichischen Staatsdienst hatte er Schwierigkeiten mit der Grammatik.
    »Sedlacek«, sagte der Polizeirat traurig, »Sedlacek, Sie verstehen mich falsch. Sie sollen den Mann nicht überwachen lassen, sondern hierherbringen. Zu mir, in mein Büro. Nein, auch nicht festnehmen. Sie sollen ihn am Bahnhof anreden und dann zu mir bringen. Er wird nicht ablehnen. Sagen Sie meinetwegen einen Gruß von mir, und daß ich ihn dringend sprechen muß. Sagen Sie, was Sie wollen, aber bringen Sie ihn her.«
    Kriminalinspektor Sedlacek sah auf ein Blatt Papier und auf ein Foto. »Der Rom-Expreß kommt um zehn Uhr dreißig?« sagte er mißvergnügt.
    »Da haben Sie ja noch zwei Stunden Zeit«, meinte der Polizeirat und drängte in sein Büro. Er hatte nasse Füße. Ob er einen Dienstwagen benützen dürfe, wollte der Inspektor noch wissen, und Hammerlang nickte nur. War das ein trostloses Wetter heute, und sein Wagen hatte in der Früh natürlich wieder halb unter Wasser gestanden, es war ihm unmöglich gewesen hineinzukommen, ohne naß zu werden. Der Polizeirat wohnte draußen in Floridsdorf in einem Neubau. Die Siedlung war noch halb Baustelle, und an einem Tag wie heute hätte man Gummistiefel tragen sollen.
    Sein Büro war geheizt, wie er es gern hatte. Er setzte sich an den großen Schreibtisch und warf einen Blick auf den Stapel Papier, der in dem Aktenkorb mit der Aufschrift »Ein« lag. Seufzend zog er sich die Schuhe aus. Er drückte die Taste der Sprechanlage und sagte: »Fräulein Scherbler zum Diktat, bitte.« Dann legte er seine feuchten Socken über die Heizung.
    Fräulein Scherbler sagte »Guten Morgen, Herr Rat«, und zwängte ihre pralle Hüfte durch die gepolsterte Doppeltüre. Sie schloß beide Türen sorgfältig und drückte dann einen Wandknopf; im Vorzimmer leuchtete ein rotes Neonlämpchen auf mit der Aufschrift: »Nicht stören«. »Mach mir einen Kaffee, Gretl«, sagte Dr. Hammerlang. Seine Worte waren überflüssig, Margarete Scherbler hatte den Kocher schon angesteckt.
    Hammerlang haßte es, nasse Füße zu haben. In seinem dunklen Anzug sah er aus wie ein großer schwarzer Vogel. Ein trauriger und etwas schäbiger Vogel. Er trug fast immer dunkle Anzüge, auch im Sommer. Das kam daher, daß er nur Maßanzüge tragen konnte und in seinem Beruf wenigstens einen guten Anzug für feierliche Anlässe nötig hatte. Der aber kam, wie vieles heute, so rasch aus der Mode, daß er bald zum Alltagsanzug wurde. Die Socken auf der Heizung begannen zu dampfen. Elegant gekleidet wäre Hammerlang eine gute Erscheinung gewesen, denn trotz seiner Länge hatte er eine drahtige, muskulöse Figur. Das aber wußte niemand, außer seiner Frau und seiner Sekretärin.

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