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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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schneuzte sich. Als er das Taschentuch wieder einsteckte, spürte er plötzlich den festen Blick Hammerlangs, Bill sah ihm gerade in die Augen.
    »In seinem Kofferraum war eine Leiche«, sagte Hammerlang.
    »Was!!?« Bill schrie es.
    »Eine männliche Leiche, Alter ca. fünfzig Jahre, noch nicht identifiziert. Keine Ausweispapiere, Taschen ausgeräumt. Todesursache: ein Schuß aus einer Pistole Marke FK 7,5 mm, aus geringer Entfernung, etwa einem Meter. Das Geschoß traf in die Kinnspitze, der Schußkanal führte von unten aufwärts durch Gehirn und Schädeldecke. Der Schütze muß nach allen Erkenntnissen vor ihm gekniet oder gelegen haben.«
    Bill konnte nichts sagen.
    »Die Tatwaffe lag im Handschuhfach im Auto Ihres Freundes. Das Fahrzeug werden Sie erben. Ohne Toten und Tatwaffe, natürlich.« Der Polizeirat lächelte. »Wir haben allen Grund zur Annahme, daß Ihr Freund der Täter war. Können Sie sich vorstellen, daß dieser Sachverhalt die Schwierigkeit war, in der sich Ihr Freund befand?« Bill konnte sich das vorstellen, er nickte nur. Der Polizeirat meinte, er habe sich eigentlich mehr Angaben von Bill erhofft, die ihm zur Aufklärung des Falles helfen könnten. Bill verstand. Er verstand wirklich. Herbert hätte nie jemanden getötet, außer in Notwehr, das war alles, was er im Moment sagen konnte. In seinem Gehirn surrte es wie in einem Bienenhaus. Warum er nun eigentlich wirklich gekommen sei, so nach zehn Jahren und nach einem einzigen kurzen Telefonat.
    Hammerlang war jetzt freundlich, er lächelte, als er wieder die Mitzi-Tante erwähnte. Bill spürte ein warmes, sympathisches Gefühl für diesen langen Cop.
    Er sagte die Wahrheit. Er sprach von seinem Leben in Brooklyn, wie unerwartet und doch erwünscht dieser Telefonanruf seines Freundes kam. Und er sagte offen, daß er dahinterkommen müsse, was mit seinem Freund zuletzt eigentlich los war. Und er meinte, so gesehen hätten sie doch dieselben Interessen, der Polizeirat und er, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Hammerlang nickte ein paarmal. Am Ende hatte Bill das Gefühl, daß ihm dieser Mann nun glaubte. Und es war ein erleichterndes, beruhigendes Gefühl.
    Als Bill in das Wachzimmer kam, wußte der diensthabende Inspektor bereits Bescheid. Bill mußte seinen Paß vorzeigen und dann die »ordnungsgemäße Übernahme« der Wohnungsschlüssel durch Unterschrift bestätigen. »Die Wohnung ist polizeilich versiegelt«, sagte der Inspektor. »Eigentlich müßte ich Ihnen einen Beamten mitgeben, der das Siegel abnimmt. Momentan ist niemand verfügbar, vielleicht in einer Stunde, wenn Sie warten wollen …« Bill wollte nicht warten. Warum hatte die Polizei wohl die Wohnung versiegelt? Die Wohnung hatte mit dem Mord doch nichts zu tun, der Tatort war doch im ersten Bezirk. »Warum ist die Wohnung versiegelt?« fragte er. »Vorschrift nach einer Hausdurchsuchung, wenn keine Angehörigen zugegen sind«, sagte der Inspektor bissig. »Ich dachte, der Polizeirat Hammerlang hätte …« Sie hatten also die Wohnung durchsucht. Was sie wohl gesucht hatten?
    »… hat er es Ihnen nicht gesagt, der Polizeirat«, bohrte der Inspektor weiter.
    »Vielleicht hab ich’s vergessen, war ein anstrengender Tag für mich«, sagte Bill müde. »Vielleicht hat Hammerlang vergessen, es mir zu sagen.« Bill wandte sich zum Gehen. »Polizeirat Doktor Hammerlang«, hörte er den Inspektor noch keifen, und dann fiel ihm ein, daß er den Weg zur Wohnung gar nicht wußte. An dem Schlüsselbund hing ein Zettel: Winkler, Herbert, Schreyvoglgasse 17/3, stand drauf. Er wollte nicht mehr fragen auf der Wachstube. Er würde die Adresse schon finden. Schreyvoglgasse 17/3. Er wußte nicht einmal, seit wann Herbert dort gewohnt hatte, ob es eine große oder kleine Wohnung war. Es war jetzt seine Wohnung, merkwürdig. Und fürs erste würde er dort wohl wohnen müssen, was blieb ihm schon anderes übrig. Ein Hotelzimmer konnte er sich nicht leisten. Er ging ein paar Schritte und fand an einer Ecke ein typisches Vorstadtgasthaus. Da würde man wohl wissen, wo die Schreyvoglgasse war, es konnte ja nicht weit sein. »Sperrstunde der Herr«, sagte der Wirt in einer dicken schmutzigweißen Schürze mit rotem Gesicht unwillig. In einer Ecke spielten ein paar alte Männer Karten, an der Theke stand ein Polizist und trank Kaffee. Eine Frau saß bei den Kartenspielern und strickte, wahrscheinlich war es die Wirtin. Es roch nach Bier und Gulasch, plötzlich spürte Bill, wie ihm der Hunger in

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