Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Archiv

Das Archiv

Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
Vom Netzwerk:
nachdem er mit Ihnen telefoniert hatte.« So begann der Polizeirat. Bill Weiss hörte das, er hörte alles und antwortete mechanisch auf alle Fragen, denken konnte er nicht.
    Die Vernehmung dauerte bis in den späten Nachmittag. Bill tat alles, was man von ihm verlangte. Zwischendurch führte man ihn in die Prosektur, schob ihn vor ein Gestell und hob ein weißes Leinentuch hoch. Er sah seinen Freund, kein Zweifel, er war es. Das war also eine Identifizierung. Dann brachte man ihn wieder zu Hammerlang, und die Fragerei begann von neuem. Bill antwortete mechanisch, was sonst hätte er tun sollen. Der Polizeirat wurde sichtlich unzufrieden.
    »Wann gehen Sie zu Schneeberg?« fragte der Polizeirat. »Zu wem?«
    Der Polizeirat seufzte bekümmert, »Schneeberg«, wiederholte er nur. Bill verstand gar nichts. »Wer ist das«, fragte er schließlich. Wieder seufzte der Polizeirat. »Ich dachte, Sie wüßten es.«
    »Keine Ahnung«, meinte Bill. Er hatte das Gefühl, der Polizeirat glaubte ihm nicht.
    Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben, das Wetter allein machte einen schon traurig. »Was sagte Ihr Freund am Telefon?«
    Bill konnte das Mißtrauen des Polizeirates deutlich spüren. Bill erzählte von dem Telefongespräch. Er versuchte, sich genau zu erinnern, berichtete wahrheitsgetreu. Hammerlang saß da wie ein Klotz und hörte zu. Was das denn für Schwierigkeiten wären, von denen Herbert am Telefon erzählte, wollte er wissen. Das nun wußte Bill auch nicht. »Das sollte ich ja erst erfahren, deshalb bin ich ja hergeflogen.«
    Der Polizeirat blickte bekümmert. Nun wollte er wissen, wie oft Bill und Herbert im Monat durchschnittlich telefoniert hatten. Bill versuchte es zu erklären. »In den zehn Jahren seit ich drüben bin, telefonierten wir keine fünf Mal. Und Briefe schrieben wir vielleicht jeder ein Dutzend. Im ersten Jahr alle drei Monate einen, dann ließ es nach. Was hätten wir uns auch schon schreiben sollen. Liebesbriefe?« Langsam begann Bill ärgerlich zu werden. Hammerlang meinte, man möge ihn doch nicht für einen Trottel halten. Nicht einmal seine Mitzi-Tante würde es glauben, daß ein Mann von New York nach zehn Jahren zu seinem Freund, zu dem er nahezu keinen Kontakt hatte, nach Wien fliegt, nur weil der am Telefon wehklagt, er sei in Schwierigkeiten.
    »Was also waren das für Schwierigkeiten«, Hammerlang wurde ziemlich laut. Das war sein Fehler. Bill schaltete auf stur. »Sie können schreien wie ein Hutschenschleuderer«, meinte er, »ich weiß es nicht.« Er zündete sich eine Zigarette an.
    Hammerlang auch. Jeder benützte sein eigenes Feuerzeug. So ging das nicht weiter, meinte Hammerlang, mehr zu sich selber. »Und den Schneeberg kennen Sie also auch nicht.« Er kenne nur den Schneeberg an der Südbahnstrecke, murmelte Bill leise und wütend. Ca. zweitausend Meter hoch, eine Seilbahn und oben ein bewirtschaftetes Restaurant. Und er wüßte nicht, was er dort oben tun sollte. Bei diesem Wetter, setzte er boshaft hinzu.
    »Schneeberg, mit einem e«, sagte Hammerlang lauernd. »Mit einem›e‹, ja.«
    Eine Weile war Schweigen, nur den Regen hörte man am Fenster. »Mit einem oder zwei oder zwanzig ›e‹, ich weiß nicht, was Sie wollen«, sagte Bill, und so ginge das nun wirklich nicht weiter.
    Hammerlang dachte nach. Schließlich schob er seine Schreibtischschublade auf und legte einen Zettel vor Bills Nase.
    »Ihr Freund wurde erschossen«, wiederholte er, »unmittelbar nachdem er mit Ihnen telefoniert hatte. Er war nicht sofort tot. Im Krankenhaus stammelte er noch ein paar Dinge. Soweit der anwesende Kriminalbeamte verstehen konnte, hat er Sie als Erben seines Besitzes bestimmt. Es ist nicht viel, aber letztwillige Verfügungen eines Sterbenden vor Zeugen sind so gut wie ein Testament. Dieser Punkt ist für mich klar.«
    Bill nickte ein wenig betroffen.
    »Nicht klar ist für mich folgendes«, setzte Hammerlang fort. »Ihr Freund machte sich verständlich, daß er ein paar Zeilen für Sie schreiben wollte. Er starb, während er schrieb. Der Zettel liegt vor Ihnen.« Bill starrte fassungslos auf das Blatt Papier. »Herbert«, las er, »geh zum Schneberg.« Das war alles. Schneberg mit einem »e«.
    Plötzlich spürte Bill, wie seine Augen heiß wurden: »Ich schwöre Ihnen, Dr. Hammerlang, ich kann damit nichts anfangen. Aber ich muß es wissen, ich muß wissen, was er von mir wollte. Ich bin zu spät gekommen, das ist mir klar, aber ich muß wissen, was er von mir wollte.« Er

Weitere Kostenlose Bücher