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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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haben, denken Sie auch darüber nach. Benützen Sie Ihr Gehirn.« Der alte Rossmanek hatte leicht reden. Auch Gehirnarbeit braucht Training, und Bill war wirklich zehn Jahre lang aus der Übung. Er bemühte sich ehrlich, aber das Resultat waren Kopfschmerzen. Und wenn er resigniert von seinem Weinglas aufschaute – es war schon wieder fast leer –, sah er meist nur die untere Hälfte dieser gut aussehenden Christa, die immer Hosen trug. Hosen, die so eng waren, daß man sich fragte, wie man da überhaupt hineinkam.
    Es waren hellblaue Hosen, und der Hintern war so zusammengedrängt, daß Optimisten jede Minute ein Platzen der Nähte erwarten konnten. Bill war kein Optimist, nicht in diesen Tagen.
    Von vorn aber war dieses Beinkleid so hochgezogen, daß der hellblaue Stoff gefährlich in der Geschlechtsfurche lag, das konnte doch nicht gesund sein, waren Bills Überlegungen. Na ja, wahrscheinlich tat es nicht weh, sonst könnte diese Christa es nicht stundenlang aushalten und dabei auch noch lächeln. Bill spürte, daß es mit dem Nachdenken für heute nichts mehr war, er bezahlte und ging. Christa in den engen Hosen sah ihm nach, eine Sekunde lang tat es ihr leid um diesen Gast. Der Mann war aus der Kriegsgeneration, er hätte ihr Vater sein können. Aber irgendwie war er anders als die anderen. Er redete nicht dauernd vom Fressen und vom Vögeln, er redete überhaupt wenig, fast nichts, und er sah gut aus. Kein Bauch, keine jugendliche Krawatten. Sie hatte seine Blicke gespürt, sehr körperlich und irgendwie gehofft, er würde irgendwann etwas Persönliches zu ihr sagen. Na, morgen würde er sicher wiederkommen. Seit drei Jahren war Christa verlobt. Robert studierte jetzt in Salzburg Germanistik und Geschichte. In einem Jahr würde er Professor sein. Und seit zwei Jahren hatte Christa ein Verhältnis mit Ingenieur Walter Hahn von der Magistratsabteilung 59. Walter war verheiratet. Das traf sich gut, denn zu den Wochenenden hatte er nie Zeit, die waren für die Familie da. Robert dagegen kam von Salzburg nur zum Wochenende, wenn überhaupt. Die Fahrt kostete schließlich eine Menge Geld.
    Christa war weder enthusiastisch verlobt noch verliebt. Sie war ein ruhiges, modernes Mädchen, lachte gern, aß gern Süßigkeiten und hatte von Kindheit an das optimistische Gefühl ihrer Generation, daß sie einmal etwas ganz Besonderes erleben werde, daß sie einem ganz besonderen Mann begegnen würde, einem Filmschauspieler oder einem weltbekannten Pop-Sänger oder wenigstens einem hohen Politiker, und natürlich würde sich dieser Traumprinz hoffnungslos in sie verlieben.
    Ein Gast rief und wollte zahlen, das Geschäft ging diesen Abend dem Ende zu. Sie trocknete sich die Hände ab und schrieb die Rechnung. Das war etwa zur selben Zeit, als Bill seine Wohnung, die Wohnung Herberts oder doch schon seine, erreichte.
    Die Wohnung hatte einen Briefschlitz, kein Namensschild, nur die Wohnungsnummer. Sperrte man auf und drückte die Tür nach innen, raschelte die eingeworfene Post, es gab keinen Briefkasten an der Innenseite, das Zeug fiel zu Boden. Bill hatte sich an das Rascheln gewöhnt, die ersten Tage die Post hoffnungsvoll auf eine interessante Nachricht hin durchgesehen. Nichts. Zeitungen, Reklamen, Rechnungen. Auch heute war es so: die Telefonrechnung, Werbeschriften für Waschmittel und Staubsauger, der Erlagschein einer Versicherungsgesellschaft mit einem Mahnschreiben. Bill sah es flüchtig durch und warf das Zeug dann auf das Tischchen. Sein Kopf schmerzte. Er überlegte, ob er eine Schlaftablette nehmen sollte. Dann ging er ins Badezimmer und begann umständlich, seine Zähne zu putzen. Das Telefon läutete. Als er abhob, klickte es und die Verbindung war unterbrochen. Langsam gewöhnte er sich daran. Er ging wieder zurück ins Badezimmer.
    Die Telefonrechnung würde er morgen bezahlen. Die Versicherung auch. Dreitausend Schilling Halbjahresprämie waren fällig. Teufel, das war viel, was war damit versichert? Er trocknete sein Gesicht ab, ging wieder zum Tischchen und las das Mahnschreiben genauer. Dreitausend Schilling Halbjahresprämie, Versicherungsschutz gegen Brand und Einbruchdiebstahl. Versichert war ein Holzbungalow, Schrebergartenhütte stand in Klammer, in Wien-Floridsdorf, die Adresse stand dabei. Es war die Schrebergartenhütte des alten Rossmanek, er war ein paar Mal dort gewesen, damals. Undeutlich erinnerte er sich. Eine primitive Holzhütte, abgeteilt in zwei Räume, ein Feldbett, ein Tisch, zwei

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