Das Archiv
erkennbar. Nein, dem Chefinspektor aus Paris konnte er nicht viel bieten. Außerdem war Hammerlangs Französisch ziemlich dürftig, und diese westlichen Kollegen glauben ja immer, jeder Mitteleuropäer sei mit englischer oder französischer Muttermilch aufgezogen worden.
Hammerlang beobachtete seine Sekretärin, während er diktierte. Fett war sie geworden, in den letzten Jahren. Weit und breit kein Mann zum Heiraten, blieben nur das Büro und Essen und Trinken. Sie mußte jetzt bald vierzig sein. Warum sie wohl keinen Mann gefunden hatte, so übel war sie früher doch nicht. Es fiel ihm ein, daß sie als ganz junges Mädchen auch für seinen Vorgänger tätig gewesen war. »Gretl«, sagte er, »hast du für den Rossmanek in dieser Oflazian-Sache was getippt, erinnerst du dich? In der Ablage ist nichts zu finden. Es müßte aber ein Vorgang da sein.« Margarete Scherbler kaute gelangweilt an ihrem Bleistift. »Nichts«, sagte sie, »du weißt doch, wie mißtrauisch der Alte war. Die wichtigen Sachen schrieb er sich alle selber, in dieser Gabelsberger Stenografie, die heute kein Mensch mehr lesen kann. Und seine Vormerkungen nahm er sich mit nach Hause, selbst der Panzerschrank war ihm nicht sicher genug.« Hammerlang kannte die Geschichte. Nach dem Tod des alleinstehenden Hofrates hatte man überall nach diesen Stenoakten gesucht, erfolglos. Er diktierte weiter: Daß eine enge nachrichtenmäßige Beziehung zwischen Rossmanek und diesem Oflazian bestanden hatte, ginge aus dem CIA-Akt einwandfrei hervor. Ebenso die Tatsache, daß der erschossene John Berger für Oflazian gearbeitet hatte. Es konnte kein Zufall sein, daß er von Herbert Winkler erschossen worden war. Winkler war ein Rossmanek-Mann. Aber wer hatte Winkler erschossen und warum? Hammerlang verfluchte seinen Beruf. Aus der Ami-Akte mußte er jetzt erst von der Existenz dieses Oflazian erfahren. Jahrelang war er immerhin der Stellvertreter Rossmaneks gewesen, das alte Schwein hatte ihm nie etwas davon gesagt.
Verfluchter alter Verdachtschöpfer, mißtrauischer. »Mach uns jetzt einen Kaffee, Gretl«, sagte er. Kaffee konnte Hammerlang den ganzen Tag trinken, schwarz und ohne Zucker.
Dieser Bill Weiss, konnte oder wollte er nicht mehr sagen? Der hatte mit seinem Freund doch schon für Rossmanek gearbeitet, als Hammerlang noch auf die Uni ging. Gleich nach dem Krieg mußte das begonnen haben, jedenfalls noch während der Besatzungszeit. Damals mochten Rossmaneks Methoden und seine übertriebene Vorsicht ja noch gerechtfertigt gewesen sein. Aber der Alte hatte ja nie damit aufgehört, auch nicht nach Abschluß des Staatsvertrages. Und den jungen Polizeijuristen Hammerlang hatte er behandelt wie ein Vater seinen idiotischen Sohn. Margarete Scherbler goß die Tassen voll, sie bückte sich tief, ihr oberster Blusenknopf war offen, aber Hammerlang war gänzlich uninteressiert.
Der Amtsdiener kam und brachte eine Menge Papier, unter anderem einen Stapel Zeitungsausschnitte der Auslandspresse; Kommentare zum »Postgassenmord«. Das Paket war vom Außenministerium »zur gefälligen Kenntnisnahme« übermittelt worden. Der Polizeipräsident hatte nur ein Rufzeichen hinzugefügt. Mit rotem Bleistift. Hammerlang las einzelne Überschriften: »Der dritte Mann auferstanden.«
»Agentenmord in Wien.«
»Spionagezentrale Wien.«
»Gangstermethoden in Österreichs Hauptstadt.« Dann warf er das Bündel in den Papierkorb.
Er zündete sich eine Zigarette an und mußte husten. »Du rauchst zuviel«, sagte die Sekretärin. »Laß das Gerede«, hustete er. Früher hätte er sie zumindest auf den Popo getätschelt, wenn sie Kaffee einschenkte. Ganz früher tat er noch ganz andere Dinge mit ihr in den Kaffeepausen. Aber das war schon lange her, sehr lange. »Schleimi war gestern mit dem Präsidenten beim Heurigen«, berichtete Gretl, »die beiden Gattinnen waren auch dabei.« Schleimi war Polizeirat Zelezny, Leiter der Abteilung II, Hammerlangs Konkurrent auf einen Hofratsposten. Na bravo. Er, Hammerlang, sah den Präsidenten nur dienstlich und auch dann nur, wenn es sein mußte. Aber er konnte ihn ohnehin nicht leiden, den Präsidenten.
Das Telefon läutete, es war seine Frau. Sie wollte wissen, ob er sie abholen und in die Stadt fahren könne. Weihnachtseinkäufe erledigen. Hammerlang sagte, das könne er leider nicht, schließlich habe er einen Beruf. Seine Frau startete eine längere Protestrede. »Entschuldige Schatz«, sagte er, »ich bin in einer Konferenz.« Dann
Weitere Kostenlose Bücher