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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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großdeutschen SD unter dem Namen Offenbach. In den letzten Kriegsjahren kam er irgendwie in eine Widerstandsbewegung, und von dort rührten die ersten Verbindungen mit Rossmanek, der dann nach 1945 Chef der Wiener Staatspolizei wurde. Nachweislich habe es auch in der Nachkriegszeit Verbindungen zwischen Offenbach/Oflazian und Rossmanek gegeben, bevor der Armenier nach Beirut verzog. Und auch danach habe eine nachrichtendienstliche Verbindung zwischen den beiden bestanden. Bis der alte Rossmanek schließlich starb. Er, Hammerlang, habe in den staatspolizeilichen Akten nach seiner Amtsübernahme als Nachfolger Rossmaneks nichts finden können. Aber man wußte ja, wie mißtrauisch und eigenbrötlerisch der Ministerialrat Rossmanek gewesen war. Jedenfalls könne es kein Zufall sein, daß der Tote John Berger ausgerechnet in Herberts Kofferraum landete. Und was dahintersteckte, sollte Polizeirat Hammerlang jetzt endlich herausfinden.
    Er wisse von der ganzen Geschichte nichts, sagte Bill wahrheitsgetreu. Im Gedanken an den Schrebergarten würgte er ein wenig, als Hammerlang eindringlich wurde, blieb jedoch dabei.
    Dann hatte der Polizeirat das Thema gewechselt und wollte von Bill wissen, warum Herbert eigentlich nicht von seiner Wohnung aus nach New York/Brooklyn telefoniert habe. Er hätte es doch von dort bequemer gehabt, und es hätte ja keine Notwendigkeit bestanden, bis in die Morgenstunden in den Kneipen herumzusitzen.
    Das sei eben so Herberts Art gewesen, meinte Bill ehrlich. Das würde nicht zu Herbert gepaßt haben, daheim zu sitzen und zu warten, bis es in Brooklyn Mitternacht wurde. Nach langem Hin und Her schien der Polizeirat wenigstens in diesem Punkt befriedigt, und Bill konnte gehen. Es war ziemlich spät geworden, und immer noch regnete es leicht. Bill hatte plötzlich keine Lust mehr, den Schrebergarten zu suchen, und verschob es auf den nächsten Tag. Die Neuigkeiten Hammerlangs gaben ihm zu denken. Am liebsten wäre er gleich zu Christa gegangen, aber dazu schien es ihm wieder zu früh. So fuhr er vorerst einmal in Herberts Wohnung und versuchte, die letzten Informationen zu verarbeiten.
    Nun lag er angezogen auf dem Bett und sah dem Rauch seiner Zigarette nach.
    Der Straßenlärm war zu hören, gedämpft durch das Doppelfenster mit seinen verschlissenen gelblichen Gardinen. Sprünge an der Decke bildeten ein groteskes Muster, die Malerei war an vielen Stellen abgeblättert. Spinnweben in einer Ecke hingen herab, schwarz geworden in vielen Wochen oder Monaten. Die Spinne war sicher schon lange tot, gestorben an Altersschwäche oder Nahrungsmangel. Übriggeblieben war nur das Netz, nun sinnlos geworden; ein deprimierender Anblick.
    Er fragte sich, wann in dieser Bude wohl zum letzten Mal saubergemacht worden war.
    Herbert war kein Schwein gewesen. Er hielt viel auf Körperpflege, hatte tadellose Zähne, duschte und wechselte die Unterwäsche oft zweimal täglich und ließ sich bei jeder Gelegenheit die Haare waschen. Aber seine Umgebung war ihm immer gleichgültig gewesen. Die Zimmerwände mochten dreckig sein, auch der Fußboden, das sah er nicht. Jetzt war er tot, erschossen. Es war immer noch schwer, das zu begreifen.
    Die Kastentür knackste leise, sie stand offen, man konnte Herberts Anzüge hängen sehen und den Mantel. Alle Taschen hatte Bill schon untersucht, dreimal, wie vor ihm sicher auch schon die Polizei. Nichts. Kein Notizbuch, kein beschriebener Zettel, kein Brief, nichts, was irgendeinen Hinweis auf Herberts Leben in den letzten Monaten gegeben hätte.
    Aber irgend etwas mußte es geben.
    Wieder hatte Bill das Gefühl, daß ihm jeder Gegenstand in diesem Raum helfen könnte. Wenn die Dinge nur reden könnten. Der Aschenbecher, die Zahnbürste, der alte Ledermantel. Wie bringt man solche Gegenstände zum Reden. Oder wenigstens einen.
    Der Kasten knackste wieder, und die alte Holztür knarrte leise. Sag es mir, alter Kasten. Was wollte mein Freund von mir, wie hätte ich ihm helfen sollen? Komm, hatte Herbert am Telefon gesagt. Auf meine Kosten. Auf seine Kosten? Wo war das Geld? Der Betrag in seiner Brieftasche reichte für zwei Mahlzeiten in billigen Restaurants. Kein Sparbuch, kein Scheckheft. Hatte man ihn beraubt? Kaum, nach allem, was er von der Polizei wußte. Tote sind tot. Es gibt keine Geister. Aber alles in dieser alten Bude strahlte etwas von Herbert aus, als ob er irgendwo unsichtbar im Zimmer wäre. Kannst du mich nicht hören, Freund? Verstehst du mich nicht? Wieder

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