Das Archiv
legte er auf. Er sah aus wie jemand, der gerade eine Kröte gefressen hatte. »Bring mir jetzt den Sednitzky-Akt«, sagte der Polizeirat. Margarete Scherbler ging in einen Nebenraum, holte einen Ordner, auf dem »vertraulich« stand und legte das Ding auf Hammerlangs Schreibtisch. Sie wußte, daß er jetzt allein sein wollte und ging ins Vorzimmer zu ihrem Platz. Die Polstertür schloß sich geräuschlos. Der oberste Blusenknopf Margarete Scherblers war wieder zugeknöpft. Der Bericht über Sednitzky war für den Polizeirat einigermaßen verwunderlich. Jaroslav Sednitzky, jetzt fast achtzig, alter polnischer Adel, war 1939 bei Kriegsausbruch von Warschau nach London geflüchtet und dort als militärischer Berater der polnischen Exilregierung maßgeblich bei der Aufstellung der Anders-Armee beteiligt. Im September 1944 tauchte er in Warschau auf und war Verbindungsoffizier bei General Bor, dem Leiter des Polenaufstandes. Nachdem der Aufstand von den Deutschen blutig niedergeschlagen war und die Russen dabei tatenlos zugesehen hatten, verschwand Sednitzky für einige Zeit. 1948 war er plötzlich in Graz als Berater der englischen Besatzungsmacht. Nach Abzug der alliierten Truppen aus Österreich ging er nach Wien und handelte mit militärischen Informationen. Er verkaufte so ziemlich an jeden, der bezahlte. Mit zunehmendem Alter nahm seine nachrichtendienstliche Bedeutung ab, die letzten Jahre nahm ihn niemand mehr ernst, nicht einmal die österreichische Staatspolizei. Vorgestern wollte Sednitzky bei Hammerlang vorsprechen, er hätte eine Aussage zu machen. Der Polizeirat ließ ihn abwimmeln und von einem Kriminalbeamten schriftlich vernehmen. Konnte ja doch nur Unsinn sein, was der halbsenile Sednitzky wichtigtuerisch daherredete.
Noch bevor der Kriminalbeamte zu schreiben begann, informierte er den Polizeirat, daß sich Sednitzkys Angaben auf den ermordeten Herbert Winkler bezögen. Das war überraschend. Hammerlang ordnete eine kurze Überwachung Sednitzkys an, um zu erfahren, was der Alte nach seiner Aussage tun würde.
Die Niederschrift Sednitzkys lag nun vor ihm. Sie war kurz. Überanstrengt hatte sich der Kriminalbeamte dabei nicht. Vor vierzehn Tagen habe Herbert Winkler dem Sednitzky wichtiges Material über den KGB zum Kauf angeboten. Zu einem hohen Preis. Man habe einen zweiten Treff vereinbart. Dann habe Sednitzky von der Ermordung Winklers in der Zeitung gelesen. Das war alles.
Hammerlang hatte wieder seine leidende Miene aufgesetzt. Dann las er den Observationsbericht: Auch diese Meldung war kurz. Der alte Sednitzky hatte die Polizeidirektion verlassen und war langsam in ein Restaurant gegangen, ins »Kupferdachl«. Dort bestellte er gebackene Leber mit Mayonnaisesalat und ein Viertel Rotwein. Anschließend ging er in die Telefonzelle des Restaurants und telefonierte, nur kurz, etwa eineinhalb Minuten. Dann bestellte er Kaffee mit Milch und Zucker. Er bezahlte mit einer Fünfhundert-Dollar-Note, gab zehn Schilling Trinkgeld. Der Kellner sagte: Ergebensten Dank, Herr Graf. »Dürfte in besagtem Lokal bekannt sein«, hatte der Herr Inspektor kriminalistisch hinzugefügt. Dann war der Graf gegangen, in ein Taxi gestiegen und weg war er. »Da kein geeignetes Beförderungsmittel bereitstand, war eine weitere Beobachtung nicht möglich«, endete der Bericht. Das Kennzeichen des Taxis war nicht notiert. »Idiot«, sagte Hammerlang böse. Es hallte wider in dem großen Raum.
Er rief den leitenden Kriminalbeamten durch die Sprechanlage und ordnete periodische Überwachung des Barons für die nächsten zwei Wochen an. Der leitende Kriminalbeamte jammerte über Personalmangel. »Tun Sie Ihr Möglichstes«, sagte der Polizeirat. Das tue er ohnehin, meinte der leitende Kriminalbeamte. »Und noch etwas«, murrte Hammerlang, »wenn bei Beobachtungen das Objekt in ein Taxi steigt und man kommt nicht mit, sollen die Inspektoren wenigstens das Kennzeichen notieren, man kann ja nachher das Fahrziel ermitteln.«
VIII
Nur mehr wenige Gäste saßen im »Chat noir«, die Hauptlichter waren abgedreht, das Lokal halbdunkel. Christa wischte die Tischplatten ab und leerte Aschenbecher aus. »Heiland«, sagte sie, »wie siehst du denn aus?« Er hörte es von weitem.
»Doppelten Rum«, sagte Bill mühsam. Er zog sich auf einen Barhocker und schob seinen Oberkörper über die Theke. Für den Fall, daß er umkippen sollte, wollte er lieber auf die Theke sinken und nicht in ganzer Länge auf den Steinboden fallen.
In
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