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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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knarrte die Kastentür.
    Tote sind tot. Geister gibt es nicht. Warum aber bekam er jetzt eine Gänsehaut, warum sträubten sich seine Nackenhaare?
    Das Geld. Herbert mußte Geld gehabt haben. Vielleicht nicht viel, aber mehr, als er bei sich hatte. Der Zigarettenrauch bildete groteske Figuren, er hing über dem Bett, als wagte er nicht, höherzusteigen, zu diesem traurigen Plafond. Es wurde rasch dunkel, die Sprünge im Mauerwerk und die Spinnwebe verschwammen, bildeten andere Figuren. Die altersschmutzigen Flecken verkrochen sich hinter der aufkommenden Dunkelheit, versteckten sich schamhaft. Verstecke.
    Sie hatten immer irgendwelche gemeinsamen Verstecke gehabt, er und Herbert. Da waren immer Dinge, die zu verbergen waren. Mikrofilme, Berichte, manchmal Geld, vieles mußte versteckt werden, man konnte ja nie wissen. Ein Versteck?
    Ja sicher, es wäre Herbert sehr unähnlich gewesen, hätte er nicht irgend etwas zu verstecken gehabt. Die Kastentür knarrte.
    Bill sah hinüber, die Tür hatte sich weiter geöffnet. Die Fächer mit den Hemden waren zu sehen. Socken, Unterwäsche, Krawatten, alles nicht sehr ordentlich. Eine Kleiderbürste, eine Schere, ein Knäuel grüner Schnur, eine Rolle Leukoplast. Eine Rolle Leukoplast.
    Bill hatte sie schon hundertmal gesehen, jedesmal, wenn er an dem Kasten vorbeikam. O Gott, die alten Gewohnheiten, er kannte doch alle Gewohnheiten Herberts. Leukoplast.
    Hinter die Scheißmuschel schaut niemand, hatte Herbert immer gesagt. Eines seiner bevorzugten Verstecke, die Unterseite der Abortmuschel.
    Die alten Gewohnheiten. Warum bekam er jetzt wieder eine Gänsehaut?
    Bill stand auf wie in Trance und ging ins Badezimmer. Das Licht drehte er nicht an, aus Angst, er könne etwas verscheuchen. Er kniete nieder und fand das Paket mit dem ersten Griff. Ein normaler Briefumschlag, verschlossen, etwa drei Zentimeter dick.
    Jetzt erst knipste Bill das Licht an und riß den Umschlag auf. Dollarnoten.
    Hunderter, Fünfziger, Zehner, grüne Scheine, die Bilder von Lincoln, von Washington. Das Geld. Das alte Versteck.
    Etwas fiel zu Boden, etwas Winziges, Helles. Es klickte ganz leise auf dem Steinfußboden, sprang in eine Ecke, klickte noch leiser und war still. Bill kniete nieder, suchte das winzige Etwas. Lange hielt er es auf seiner Handfläche, besah es, hob es ans Licht. Kein Zweifel, es war der Milchzahn eines Kindes. Wohl das letzte, was Bill in diesem Umschlag erwartet hatte. Ein Milchzahn, wie er Kindern so im Alter von sechs bis sieben ausfällt.
    Bill blätterte in den grünen Scheinen. Etwa viertausend Dollar waren es, grob geschätzt. Viel Geld. Er ging ins Wohnzimmer zurück. Wieder knarrte die Kastentür.

 

    VII
    Mit zunehmenden Dienstjahren wurden für Dr. Hammerlang Polizeiakten oder geheimdienstliche Erkenntnisse immer langweiliger. Das Aktenstück Oflazian – Offenbach war eine Ausnahme, faszinierte ihn von der ersten Seite an. Großer Gott, was für eine Geschichte! Ein Aktenkonvolut von vierhundert Seiten, engzeilig getippt und noch dazu in Englisch. Dieses Monstrum hatte er vom Ministerium »zum Dienstgebrauch« erhalten, es war »von einem befreundeten Dienst« zur Verfügung gestellt worden. Mit anderen Worten, es war eine Akte von den Amis, genauer vom CIA. Er las das Schriftstück zu Hause, als Frau und Kinder schon im Bett waren. Als seine Frau in der zweiten Nacht mit Lockenwicklern und Flanellnachthemd zum dritten Mal fragte, ob er total übergeschnappt sei, und warum er nicht endlich ins Bett komme, hätte er sie gerne aus dem Fenster geworfen. Sie wohnten immerhin im fünften Stock. Der Polizeirat diktierte seiner Sekretärin einen Aktenvermerk zu dem Fall. Immerhin gab es nun einige wesentliche Erkenntnisse. Die Identität des Toten im Kofferraum war geklärt, John Berger, Australier, gesucht von Interpol wegen dreifachen Mordes und eines Bankraubes. Die Fahndung war widerrufen, das Fingerabdruckverfahren beweiskräftig. Die Vergleichsabdrücke waren zwei Jahre zuvor von der Präfektur Paris sichergestellt worden. Ein Kollege aus Paris, Chefinspektor Trudeau, hatte gestern angerufen, der den letzten Mord Bergers in Paris bearbeitet hatte. Merkwürdig neugierig war der Chefinspektor, wollte genau wissen, wie Berger ums Leben gekommen war. Hammerlang konnte seinem Kollegen nicht viel sagen, denn darin lag das Problem: wenn er wenigstens schon den Tatort hätte feststellen können. Ein geklärter Mord ohne Tatort ist eine halbe Sache. Zudem war noch kein Motiv

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