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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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seinem linken Fußknöchel klopfte es, als ob dort im Herzmuskelrhythmus ein eisernes Hämmerchen schwingen würde. Entfernt hörte er, wie Christa jemandem gute Nacht wünschte. Es tropfte auf seinen Handrücken, und er wollte sehen, was es war. Blut natürlich, was sonst. Es tropfte von seinem rechten Jochbein, und sehen konnte er es nur undeutlich, nur mit dem linken Auge, denn das rechte war geschlossen, und zwar so endgültig, als ob dort nie mehr die Sonne hineinscheinen könnte. Ein Schlagring, dachte er, der Dreckskerl hatte einen Schlagring. Nicht einmal Muhammed Ali konnte so hart treffen aus dem Ellenbogen und ohne auszuholen. Die hellen Punkte vor seinem linken Auge waren manchmal weniger dicht, so wie Schneeflocken im heftigen Wind. Doch das nächste, was er fühlte, war beruhigend; sein Geruchssinn funktionierte, es war der herrliche Geruch von Rum, und das Glas stand unterhalb seiner Nase. Christa sagte etwas, das er nicht verstehen konnte, denn in seinen Ohren brauste ein Meer. Aber immerhin, seine Nase war in Ordnung.
    Er gab es sogleich auf, mit seiner rechten Hand nach dem Glas zu greifen. Wenn diese Rechte nicht plötzlich irrsinnig geschmerzt hätte, jede Wette hätte er gehalten, daß sie gar nicht zu ihm gehörte. Dieser geschwollene Klumpen, der da aus seinem rechten Ärmel hing, war ihm völlig fremd. Mit der linken ging es ganz ordentlich. Er trank den Rum so gierig, daß die Schneeflocken wieder dicht waren, dann hustete er ganze zwei Minuten, und es war reiner Zufall, daß er nicht vom Hocker fiel.
    Christa war ein gutes Mädchen, sie nutzte die Zeit und stellte einen neuen Rum vor ihn hin. Undeutlich vernahm er jetzt ihre Fragen. Ob er einen Unfall gehabt habe, und ob sie die Rettung anrufen sollte. Er nickte »ja« zum ersten und schüttelte den Kopf zum zweiten, und die Schneeflocken waren wieder so dicht wie ein weißer Vorhang.
    Ein schöner Schlamassel, in den er da hineingeraten war. Seine Gedanken ordneten sich nur mühsam. Rossmaneks Schrebergarten hatte er unschwer gefunden. Das letzte Stück war er zu Fuß gegangen, den Wagen hatte er am Siedlungseingang abgestellt. Das war so gegen drei Uhr nachmittags gewesen.
    Der Schlüssel zu der Hüttentüre paßte, doch aufzusperren brauchte er nicht. Das Schloß war unversperrt. Er drückte die Klinke herunter und stieß die Tür auf. Sie ächzte in den Angeln. Drinnen war es dunkel und muffig. Bill fand einen Schalter und knipste das Licht an: Bücher, Tausende von Büchern ‘waren das erste, was er sah. Die Wände waren verbaut mit Regalen, vollgepfropft mit Büchern bis an die Decke. Ein kleines Tischchen stand da mit einem Sessel, und überall lag viel Staub. Bill erinnerte sich, so hatte es schon vor 15 Jahren hier ausgesehen. Bis auf den Staub. Er ging in den Nebenraum. Derselbe Anblick. Nichts als Bücher und Zeitschriften. Ein Feldbett mit einer alten Decke, sonst nichts.
    Bill schloß die Eingangstür und sah sich um. Auf dem kleinen Tisch lagen Stöße von Zeitungen aus allen Ländern, in allen Sprachen. Neben dem Tisch auf dem Boden lagen ebenfalls Bündel von Zeitungen. Mit einem Blick war zu erkennen, daß es uralte Zeitungen waren. Auch die Büchersammlung machte einen antiquierten, modrigen Eindruck. Viel politische Fachliteratur. Dann Wiener Adreßbücher und Telefonbücher aus den dreißiger Jahren, eine Sammlung österreichischer Amtskalender, beginnend mit 1918, alte Lexika, Einwohnerverzeichnisse, Wörterbücher.
    Die Massen von Zeitungen, die in Stößen herumlagen, hätten einen Altpapierhändler jubeln lassen. Was hatte Herbert mit diesem alten Kram gewollt. Hatte er etwas gesucht, etwas gefunden?
    Bill war schon zwei Stunden in der Hütte, als er den dunklen Fleck am Fußboden unter dem Fenster bemerkte. Er kniete sich auf den Fußboden und besah sich alles lange und eingehend. Mit einer Taschenlampe, die auf dem Tisch gelegen hatte, beleuchtete er Fußboden, Holzwand und Fenster. Die Außenläden des Fensters waren geschlossen, aber nur angelehnt. Am Fensterbrett war die Staubschicht breitflächig abgewischt, als ob sich dort jemand ins Innere gezwängt hätte. Etwa in Kopfhöhe neben dem Fenster wieder diese dunklen, klebrigen Flecken am Holz, kleiner als auf dem Fußboden und wie hingespritzt. Vereinzelt klebten Haare an diesen Flecken. Schließlich das kleine, aufgesplitterte Loch in der Holzwand. Kein Zweifel, hier hatte Herbert diesen John Berger erschossen. Der Mann mußte durch das Fenster eingestiegen

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