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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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ließ, geschah es. Die Scheinwerfer des Citroen flammten auf, und beide Vordertüren wurden auf gestoßen. Er sprang aus dem Lichtkegel und trat gegen die offene Wagentür, hinter der sich jemand herauszudrängen versuchte. Zweimal trat er gegen diese Tür, mit aller Kraft. Dann spürte er den Hieb unter dem rechten Auge, gerade als er sich umdrehen wollte. Der zweite Mann war wesentlich schneller aus dem Wagen gekommen. Bill schlug einen rechten Schwinger ins Dunkle, traf etwas unglaublich Hartes und spürte den Schmerz bis zum Ellenbogen. Jemand hielt ihn umklammert, ein Körper, leichter als seiner. Er wollte sich losreißen und taumelte ins gleißende Licht des Scheinwerfers, stützte sich auf etwas, das nachgab, sein Kofferraumdeckel. Ein unterdrückter Schrei, und die Klammerung ließ nach. Da sah er den Mann, der seinen Arm in den Kofferraum eingezwängt hatte, und kickte mit dem linken Fuß gegen dessen Kopf. Die Autoschlüssel! Sie steckten im Schloß des Kofferraumes. Als er sich hinters Lenkrad fallen ließ, blendeten ihn die Scheinwerfer im Rückspiegel. Rückwärtsgang, Gas, Krachen und Splittern, dann Dunkelheit.
    Er schaltete seine Scheinwerfer erst ein, nachdem er schon auf den zweiten Gang geschaltet hatte. Bald lief sein Wagen auf vollen Touren, doch die Unnötigkeit seiner Raserei wurde ihm bewußt, als er sich an die zertrümmerten Scheinwerfer des Citroen erinnerte. Dieser Gedanke beruhigte ihn, und er verlangsamte seine Fahrt. Wie gut der Rum roch.
    Der letzte Gast war endlich draußen, und er hörte das beruhigende Klimpern des Schlüsselbundes, als Christa absperrte. Ein zaghaftes Gefühl von momentaner Geborgenheit überkam ihn, hier war er relativ sicher. Die Burschen verstanden keinen Spaß, das hätte er eigentlich wissen müssen. Schließlich waren sie Herberts Mörder. Doch diesen Gedanken hatte er in den letzten Tagen verdrängt. Was das für Typen waren? Er hätte keinen wiedererkennen können.
    Zwanzig Jahre war er im Nachrichtendienst gewesen und konnte sich nicht erinnern, daß jemals Mord im Spiel war. Auch nicht in den schlimmsten Zeiten des kalten Krieges. Alle üblen Tricks und Gemeinheiten, ja, aber umgebracht hatten sie sich damals gegenseitig nicht, und die einstigen Asse in den verschiedenen Diensten, die er kannte, waren alle an Herzinfarkt oder Leberkrebs krepiert, nicht aber an Kugeln.
    Außer Herbert und diesem John Berger. Das mußte eine ganz neue Praktik im internationalen Nachrichtendienst sein. Aber schließlich war er seit zehn Jahren »out« und hatte die letzte Entwicklung nicht mitbekommen.
    »Geht es besser?« hörte er Christa fragen. Bill nickte.
    Ob der Wagen kaputt sei?
    Im ersten Moment wußte er gar nicht, wovon sie sprach. Bis ihm einfiel, daß sie ja an einen Verkehrsunfall glaubte. »Nur die hintere Stoßstange«, sagte er, und das stimmte ja auch. Christa schaltete Licht an und besah sich sein Auge. »Das sollte genäht werden«, war ihre Diagnose. »Ja, ja«, sagte er, »morgen. Dreh das Licht wieder ab.« Morgen!
    Morgen mußte er weg sein. Er spürte Panik in sich aufkommen.
    Weg, nichts wie weg. Ein paar Tage in einer ruhigen, sicheren Umgebung, und alles sah wieder anders aus. Er brauchte Zeit, Zeit zum Denken und zum Lesen. Erst einmal mußte er Rossmaneks Archiv lesen, das würde ihn weiterbringen. Seine linke, die intakte Hand, tastete in seine Brusttasche, und er spürte dieses knisternde Kuvert. Viertausend Dollar waren viel Geld. Seinen Reisepaß hatte er wie immer im Handschuhfach deponiert. In seine, Herberts Wohnung würde er jetzt nicht gehen. Wer weiß, was den beiden eingefallen war, die wußten doch sicher, wo er wohnte. Wahrscheinlich kannten sie Herberts Wohnung länger als er selbst.
    »Kann ich heute nacht bei dir bleiben?« fragte er. »Warum?« fragte Christa erstaunt. Bill war ganz ruhig.
    »Bist du Jüdin«, fragte er und jetzt konnte er sogar lachen. Mit Entschiedenheit stellte das Mädchen fest, daß es keine Jüdin sei. – Und was es damit für ein Bewandtnis habe? »Ich erzähl’ dir eine Geschichte«, hörte er sich sagen, und er war dabei ganz ruhig.
    »Juden«, begann er, »antworten bekanntlich auf Fragen häufig mit Gegenfragen. So wie du eben. Um dieses Phänomen zu erforschen, saßen einmal einige Professoren zusammen. Sagen wir an der Universität von Cincinnati. Sie kamen zu keinem Ergebnis. Einer meinte, man könne Professor Blau fragen. Der sei Jude und unterrichte nebenan. Sie riefen Professor Blau. Warum,

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