Das Arrangement
leichter gefallen zu glauben, dass er davongerannt war. Das hätte für sie mehr Sinn ergeben. Die Realität aber kam ihr immer noch vor wie ein Wunder. Und wenn sie in ihrer Vergangenheit etwas gelernt hatte, dann eigentlich, dass Wunder nicht für Menschen wie sie bestimmt waren.
Sie drehte sich ein wenig zur Seite, um ihn zu betrachten, wie er sich auf der Couch ausgestreckt hatte. Mit den nackten Füßen auf dem Rattantischchen und einem eisgekühlten Softdrink in der Hand, wirkte er erstaunlich entspannt. Er hatte sich nach ihrem Gespräch umgezogen und trug jetzt Kakishorts und ein fließendes Seidenhemd. Danach hatte er die Flasche Cristal geöffnet, zur Feier des Tages.
Sie war so wahnsinnig in ihn verliebt, dass es ihr Angst machte.
Doch sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass dieses Gefühl einfach nur einer momentanen geistigen Verwirrung entsprang. Sie liebte ihn nicht mehr als damals mit zwölf oder dreizehn. Damals war es reine Fantasterei gewesen. Jetzt war es Erleichterung, Dankbarkeit und der Wunsch, nicht mehr einsam zu sein. Keine Liebe, kein Nirwana. Es fühlte sich im Vergleich zum Gefängnis und Sea Clouds nur so an.
Sie fragte sich, wie viel Zeit ihnen wohl blieb, doch verdrängte sie den Gedanken sofort wieder. “Es ist so ein schöner Tag”, sagte sie dann plötzlich aus einem Impuls heraus. “Können wir nicht zum Segeln rausfahren? Ich bin noch nie mit einer Jacht auf dem Meer gewesen.”
“Noch nie?” Er ließ die Füße vom Tisch auf den Boden rutschen und stellte sein Glas ab. “Ernsthaft? Das müssen wir aber gleich beheben.”
Er lächelte sie breit an, und als er von der Couch aufstand und zu ihr herüberkam, verspürte Marnie ein seltsames Herzklopfen.
Was wird mit uns passieren?
Keiner wagte es, die Frage zu stellen, doch seit sie das Strandhaus verlassen hatten, hing sie zwischen ihnen. Marnie ging aus der prallen Sonne und stellte sich unter das Dach des Cockpits, wo Andrew am Steuer stand und die Jacht Richtung San Diego lenkte.
Sie hatte Andrew darum gebeten, sie zu ihrer Großmutter zu fahren, bevor sie mit dem Einmaster losmachten. Gramma Jo hatte einen kurzen Blick auf Andrew geworfen und sich erkundigt, ob er die Überraschung sei, die Marnie erwähnt hatte. Marnie war rot geworden und hatte erwidert, ja, er wäre schon eine ziemliche Überraschung. Sie hatte Gramma Jo außerdem versprochen, sie aus dem Heim zu holen, ohne genau zu wissen, wie sie das anstellen sollte. Es bestand kaum Hoffnung, dass Julia sich an den Vertrag halten würde. Trotzdem war es ein Versprechen, das Marnie zu halten beabsichtigte.
Aber all diese Fragen konnten warten. Dies war ein Abenteuer, eine kurze Verschnaufpause, bevor sie sich wieder mit dem Ernst des Lebens beschäftigen musste. Fragen zählten nicht mehr, wenn man die unendlichen Weiten des Ozeans unter sich hatte und die unendlichen Weiten des Himmels über sich.
Andrew hatte vorgeschlagen, im Hafen von San Diego anzulegen und zum Dinner auszugehen. Einer seiner fabelhaften Einfälle. Marnie hatte ein aufreizendes Sommerkleid für diesen Anlass mitgebracht. Sie feierten ihre Freiheit, und das sollten sie ausgiebig tun, denn so wie die Dinge standen, konnte man nie wissen, wie lange sie andauern würde. Sehr bald schon würden sie sich ernsthaft über das unterhalten müssen, was sie bei einer Strafverfolgung erwartete. Doch fürs Erste würden sie sich einfach vom Wind über die Wellen treiben lassen.
Andrew blickte nach links zu Marnie und warf ihr einen begehrlichen Blick zu. Vielleicht war das auch nur ein männlicher Reflex, doch sein Gesichtsausdruck schien echtes Interesse zu zeigen. Als er sich selbst dabei erwischte, wie er sie mit seinen Blicken auszog, musste er grinsen. Sie trug einen der Bikinis, die er eingepackt hatte. Der seidene Zweiteiler passte fast perfekt, bis auf das Oberteil. Ihre Brüste waren voller als Alisons, und wahrscheinlich war ihm das jetzt erst so richtig aufgefallen. Zu den anderen Gelegenheiten waren sie beide immer ziemlich erhitzt gewesen.
Anders als heute. Dies war ein gemütlicher, ruhiger Ausflug. Sie waren nur so schnell, wie die Meeresbrise es erlaubte. Die Küste befand sich zu ihrer Linken, die offene See zur Rechten, und sie steuerten Richtung Süden. Vielleicht würden sie einfach immer weitersegeln.
Die blauen Wellen krachten gegen den Bug und zerfielen wieder wie glitzernde Diamanten. Marnie konnte das Salz auf ihren Lippen schmecken. “Ich verstehe jetzt, warum du das
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