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Das Arrangement

Das Arrangement

Titel: Das Arrangement Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Forster
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von der Ladefläche verkauft. In jenen Tagen hatte sie Leuten auch die Zukunft vorausgesagt. Marnie konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie ihre Kunden um einen persönlichen Gegenstand bat, den sie dann mit der rechten Hand ganz fest umschloss.
    Sie hatte nie erfahren, ob Gramma nun einen sechsten Sinn besaß oder nicht, aber die Leute schworen, dass ihre Vorhersagen immer einträfen. Wenn es so war, warum hatte Gramma sie nicht vor dem zweiten Februar gewarnt?
    “Davon weiß ich auch nichts”, entgegnete LaDonna. “Am einen Tag war sie noch hier, am nächsten verschwunden, aber soweit ich sehen kann, hat sie kaum was mitgenommen.”
    “Das ist merkwürdig.” Marnie strengte ihren Kopf an, aber sie konnte sich nicht erinnern, dass Gramma irgendwelche Gesundheitsprobleme gehabt hatte. Natürlich forderten Kummer und Sorgen ihren Tribut, und ihre Großmutter war keine junge Frau mehr. Marnie ertrug den Gedanken nicht, dass es womöglich ihre Schuld sein könnte. Das würde sie sich nie verzeihen.
    Vom Strand her waren vergnügte Rufe zu hören. Hinter den Sanddünen, vielleicht hundert Meter entfernt, hatte eine Mutter mit ihren Kindern eine Decke ausgebreitet, offensichtlich, um zu picknicken. Sie trugen alle Badesachen, und die Kleinen zogen Schwimmreifen, so groß wie sie selbst, nach sich in die seichten Wellen.
    “Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll, außer ein Auge auf das Haus zu werfen”, sagte LaDonna.
    Und deinen merkwürdigen Freund hier zu treffen, fügte Marnie in Gedanken hinzu. Ihr drehte sich der Magen um, aber das hatte nichts mit dem Sexleben ihrer alten Freundin zu tun. Schon immer war LaDonna abhängig von der Aufmerksamkeit von Männern gewesen. Sie hoffte wohl, für Sex Liebe zu erhalten, und wunderte sich dann, wenn es nicht funktionierte, sie sich nicht geliebt fühlte.
    Marnie machte sich fürchterliche Sorgen um ihre Großmutter, die ihr ganzes Leben lang auf diesem Stück Land gelebt hatte. Es war ihr von einer exzentrischen unverheirateten Tante vererbt worden, bei der sie aufgewachsen war. Soweit Marnie wusste, besaß Gramma Jo nichts weiter, vor allem keine Krankenversicherung, die für medizinische Versorgung und Krankenhausaufenthalte bezahlt hätte. Es gab auch keine anderen Verwandten. Gramma Jo war kurz nachdem sie die Highschool abgebrochen hatte, verheiratet gewesen, hatte dann aber herausgefunden, dass es keine Gemeinsamkeiten mit ihrem jungen Ehemann gab, dessen Hauptinteressen darin bestanden, Bier zu trinken und an alten Autos herumzubasteln. Sie behielt den Namen, verabschiedete sich aber von dem Mann. Es hatte niemanden sonst gegeben, bis Marnie viele Jahre später in ihr Leben getreten war.
    Marnie bemühte sich, ihre Panik zu verbergen. “Ja, mehr kannst du wohl nicht tun”, sagte sie. “Tut mir leid, das von Gramma Jo zu hören. Ich hoffe, es geht ihr gut.”
    Sie wollte noch mehr sagen, wandte sich dann aber schnell ab. LaDonna hatte nicht gerade Respekt vor dem Zuhause ihrer Großmutter gezeigt, und Marnie hätte ihr am liebsten das Versprechen abgenommen, dass sie die Pflanzen gießen und das Haus dann gut abschließen würde – und dass sie vor allem davon absah, dieses Cottage in eine Liebeshöhle zu verwandeln. Doch sie bezweifelte, dass Alison das alles interessiert hätte, und Marnie konnte kein Risiko eingehen.
    Wie bei jedem erfahrenen Ermittler war Tony Bogarts Beziehung zu Tatorten äußerst ambivalent. Er kannte sich bestens aus mit der Frustration, die bei der Suche nach irgendwelchen gerichtsmedizinischen Hinweisen in einem blutbespritzten Schlafzimmer oder einer Kneipe in einer finsteren Seitengasse auftreten konnte. Er hatte alle Varianten der Versuchung kennengelernt. Wahrscheinlich brachte er zu viele Frustrationen im Leben mit Sex und Frauen in Verbindung, aber bei Tatorten war das etwas anderes.
    Der Reiz bestand für ihn nicht darin, den Toten oder ihrer Umgebung Geheimnisse zu entlocken. Es war nicht die Denkarbeit, das Kombinieren, das ihn an Tatorten faszinierte, sondern es hatte was mit dem Zwangscharakter zu tun, der von diesen Orten seiner Meinung nach ausging – und der die Rückkehr des Täters zum Ort des Geschehens unausweichlich machte. Tony vertrat die uralte Theorie, dass der Schuldige dem Entsetzen oder Triumph, oder welches Gefühl er auch immer bei der Tat empfunden hatte, nicht widerstehen konnte.
    Er musste zum Tatort zurückkehren, um sich von seiner eigenen Schuld zu überzeugen. Oder von seinem Meisterwerk.

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