Das Aschenkreuz
mir sagen lassen, dass der Junge keine Feinde hatte. Und ausgeraubt ist er schließlich auch nicht worden. Ein Mord ergäbe also überhaupt keinen Sinn.»
«So hat Euch dieser Nidank also in die Zange genommen? Ich hätte Euch für klüger gehalten. – Und für mutiger», setzte sie verächtlich hinzu. Mit einem Ruck drehte sie sich um und ging ins Haus zurück.
Keine halbe Stunde später machte sich der armseligste Leichenzug, den Serafina je erlebt hatte, auf den Weg durch die Stadt. Die beiden Büttel trugen die Bahre mit dem in weißem Leinen eingenähten Toten, begleitet nur von Walburga Wagnerin und von Serafina, die die arme Frau stützen musste. Kein Priester, kein Ministrant ging voraus, keine Klageweiber folgten. Diebold und der alte Pfefferkorn hatten sich geweigert mitzukommen, um der Schande dieses «Eselsbegräbnisses», wie Diebold noch gewettert hatte, zu entgehen.
Während die verzweifelte Mutter ihre Trauer durch Schluchzen und Wehgeschrei kundtat, bat Serafina, eine brennende Kerze in der Hand, sämtliche vierzehn Nothelfer um Fürsprache bei Gott. Den Gaffern am Straßenrand rief sie zu, fürs Seelenheil des Toten zu beten statt zu glotzen. So ging es vorbei an der uralten Gerichtslaube, die am Fischmarkt im Herzen der Stadt lag, zum Lehener Tor und Peterstor hinaus in Richtung Eschholz. Dort, zwischen dem Wäldchen und dem Dreisamfluss, befand sich der Schindanger.
Sie hatten das unwirtliche Gelände noch nicht betreten, als ihnen auch schon beißender Kadavergestank in die Nase stieg. Der Wasenmeister und sein Knecht erwarteten sie bereits, mit einer schweren Schaufel ausgerüstet, bei einer tiefen Grube. Hinter ihnen schwelte ein Feuer, in dem der Strick und der Torbalken der Scheune, als Werkzeuge der Freveltat, vor sich hin kohlten. Sie waren, ebenso wie die Totenbahre, auf immer zu vernichten.
Serafina musste an sich halten, nicht in Tränen auszubrechen. So also konnte ein junges Leben enden: Von einem Unehrlichen verscharrt wie ein verendetes Tier, mit dem Gesicht nach unten und mit Dornengestrüpp bedeckt, um ihm die Wiederkehr zu erschweren. Trotz der warmen Morgensonne lief ihr ein eisiger Schauer über den Rücken.
Als sie an diesem Tag endlich dazu kam, in ihrem Garten nach dem Rechten zu sehen und die Schäden, die der Gewittersturm angerichtet hatte, zu beheben, schweiften ihre Gedanken unablässig zwischen jenem schrecklichen Todesfall und ihrer Begegnung mit Adalbert Achaz hin und her. Die große Frage, die ihr keine Ruhe ließ, war, ob der Stadtarzt, der zu viel über sie wusste, schweigen würde.
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Kapitel 5
D er Tag, als Adalbert Achaz und sie sich in Konstanz begegnet waren, lag noch gar nicht lange zurück.
Es war zu der Zeit, als die alte Bischofsstadt am Bodensee schier aus allen Nähten platzte. Ganze Legionen hoher geistlicher und weltlicher Herren waren im ersten Winter des Konzils und erst recht mit der Ankunft von König Sigismund dort eingefallen, mit ihren Rössern, Gepäckwagen und Dienerschaften, wobei viele von ihnen schon im Vorfeld ihre Wappen an die schönsten Bürgerhäuser hatten schlagen lassen, um sich eine standesgemäße Unterkunft zu sichern.
Konstanz war zum Mittelpunkt des Römischen Reiches geworden, und binnen kurzem überstieg die Gästeschar die Zahl der Einwohnerschaft um das Zehnfache, zumal auswärtige Handwerker angeworben werden mussten, um die Versorgung zu sichern. In Hundertschaften strömten nun auch noch Bäcker, Schneider und Barbiere aus nah und fern herbei, dazu Wirtsleute, Geldwechsler und Trödler. Nicht zu vergessen die fahrenden freien Töchter, grell geschminkt und in bunten Kleidern, die für ein paar Pfennige alles mit sich machen ließen.
Das mit den Wanderhuren war Serafina und ihren Gefährtinnen mehr als ein Dorn im Auge. Hatten sie doch schon genug Scherereien mit all den heimlichen Schlupf- und Winkeldirnen aus Konstanz, die plötzlich in jeder Scheune, jedem Lagerschuppen, ja selbst in leeren Weinfässern ihre Dienste feilboten. Die fremden Hübschlerinnen, von denen täglich mehr in die Stadt strömten, drohten ihnen, die sie ihrem Handwerk in ordentlichen städtischen Frauenhäusern nachgingen, vollends das Geschäft zu verderben.
Was Serafina indessen niemals gedacht hätte: Der Kuchen war so groß, dass für jede von ihnen ein Stück abfiel. Tagaus, tagein rangen all diese klugen Männer darum, die Spaltung des christlichen Abendlandes zu überwinden und zur rechten
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