Das Aschenkreuz
Und auch so hübsch mit deinen blauen Augen und dem dunklen Haar. Solche Frauen wie dich hab ich immer beneidet, obwohl der Neid eines der sieben Hauptlaster ist. Aber ich war nie schön, bin halt schon mit einem verwachsenen Fuß zur Welt gekommen. Alle meine Schwestern sind jung verheiratet worden, nur mich hat keiner wollen. Grad so, als wär ich nichts wert. Erst als mein Vater starb und ich sein sauer Erspartes als Älteste geerbt hatte, da kam ein Wanderkrämer und hatte um mich geworben. Er war mir nicht sehr angenehm, aber immerhin hat er mich wollen. Am Tag vor der Hochzeit aber ist er dann mit dem Erbe auf und davon.»
Sie biss sich auf die Lippen.
«Weißt du was, Heiltrud?» Serafina nahm sie bei der Hand. «Du kannst froh sein, dass er auf und davon ist. Stell dir vor, du hättest mit so einem dein ganzes Leben verbringen müssen. Da hast es doch hier bei uns um so vieles schöner.»
Als Serafina den letzten Satz aussprach, merkte sie, wie warm im Herz sich dieses «hier bei uns» anfühlte. Und auch auf Heiltruds Gesicht breitete sich mit einem Mal ein frohes Lächeln aus.
«Bestimmt hast du recht. Das hast du schön gesagt, Serafina.»
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Kapitel 24
A m nächsten Morgen polterte es mehrmals laut gegen das Hoftor. Serafina, die davon erwacht war, hörte eine herrische Männerstimme. Das war ungewöhnlich zu dieser frühen Stunde, doch dann verriet ihr ein Blick aus dem Fenster, dass sie länger geschlafen hatte als sonst. Draußen war es bereits taghell, dabei war sie für gewöhnlich als eine der Ersten auf den Beinen.
So beeilte sie sich, fertig zu werden. Sie hatte eben gerade ihr Gebände um Kopf und Kinn geschlungen und war dabei, den langen grauen Schleier festzustecken, als es an ihre Zimmertür klopfte.
«Serafina?»
Sie erkannte Catharinas Stimme.
«Ich muss verschlafen haben», murmelte sie etwas verlegen, als sie der Meisterin öffnete.
«Keine Sorge, es reicht noch bis zur Frühmesse. Ich denke, du warst nach dem gestrigen Tag sehr erschöpft.» Catharinas Stirn zog sich in sorgenvolle Falten. «Hier, das hat eben der Gerichtsdiener vorbeigebracht.»
Serafina nahm das zusammengerollte Schreiben entgegen und begann zu lesen. Ihre Beklommenheit wuchs mit jedem Wort.
Hiermit bekundet der ehrwürdige Rat der Stadt Freiburg im Breisgau, dass Serafina Stadlerin, derzeit freundliche Arme Schwester der Sammlung zu Sankt Christoffel, am heutigen Dienstag auf Siebenbrüdertag zur neunten Tagesstunde in der hiesigen Ratskanzlei bei den Barfüßern mit Nachdruck allhier und in persona zu erscheinen habe. Datum am 14 . Tag des Heuet anno etc. 1415 .
Entgeistert ließ sie das Schreiben sinken. «Ich bin vorgeladen. Für heute Nachmittag.»
«Ich weiß.» Catharina unterdrückte einen Seufzer. «Und ich mach mir große Vorwürfe. Du – wir beide – haben uns viel zu weit vorgewagt in der Sache Barnabas. Ich kann nur hoffen, dass niemand von unserem Besuch im Spitalsloch Wind bekommen hat.»
«Aber dann wärst du ebenfalls vorgeladen.»
«Nicht unbedingt. Wie dem auch sei, Serafina: Ab jetzt lässt du den Dingen ihren Lauf. Hast du verstanden? Ich möchte, dass du nichts weiter unternimmst.»
Serafina schwieg. Gehorsamspflicht hin oder her – keiner konnte ihr verbieten, heute noch das Münster aufzusuchen. Danach würde sie weitersehen.
«Ich werde den Ratsherren die Hand darauf geben, dass ich mich heraushalte», gab sie ausweichend zur Antwort. «Aber sie sollen auch wissen, dass ich bislang nichts Unrechtes getan habe.»
Die Meisterin schien nicht allzu beruhigt zu sein ob dieser Erklärung. «Nun gut, ich verlasse mich darauf. Und jetzt beeile dich, wir sammeln uns schon für den Kirchgang.»
Nach der Frühmesse wurde Catharina gleich vor Sankt Martin vom Spitalknecht abgepasst, da bei den Armenpfründnern die Greisin im Sterben liege. Serafina nutzte die Gunst der Stunde und gab vor, noch vor dem Morgenessen nach ihrem Garten sehen zu wollen. Das war nicht gelogen, nur wollte sie zuvor noch am Münster vorbeigehen.
Sie schlenderte mit den anderen die Sattelgasse hinunter, wartete ab, bis die Frauen im Brunnengässlein verschwunden waren, um dann kehrtzumachen in Richtung Innenstadt.
Auch in Unser Lieben Frauen Münster war die Frühmesse eben erst zu Ende gegangen, und sie musste sich, im Schatten der Kirchhofsmauer verborgen, gedulden, bis die Freiburger Bürger sich zerstreut hatten. Sie wollte vermeiden, einem der Ratsherren über den Weg
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