Das Aschenkreuz
gedacht. Doch als sie jetzt in ihrer Kammer vor der Waschschüssel stand, um sich für die Abendmahlzeit notdürftig zu reinigen, brach die Sorge um den Bettelzwerg wieder über sie herein. Sie beruhigte sich damit, dass noch nicht alle Hoffnung verloren war. Und auch wenn dieses Spitalsloch ihr wie der Vorhof zu Hölle erschienen war, so wachte dort wenigstens Marx über Barnabas und nicht dieser unberechenbare Endres.
Sie schrak zusammen, als es gegen ihre Tür klopfte. Zu ihrer Überraschung war es Heiltrud, barhäuptig und noch immer blass.
«Ich möchte mich bei dir bedanken.» Verlegen strich sie sich über ihr schütteres graubraunes Haar.
«Komm herein.»
In ihrem staksigen Schritt trat Heiltrud in die Kammer und setzte sich erschöpft auf den einzigen Stuhl. Serafina fiel auf, wie stark sie heute ihr linkes Bein nachzog.
«Das war alles so schrecklich», begann sie. «Wenn du nicht gekommen wärst, hätte ich tot sein können.»
«Nicht doch!» Serafina schüttelte abwehrend den Kopf. «Dass alles so schnell vorbei war, ist den Männern zu verdanken. Aber ich versteh nicht, warum du nicht auf die Straße hinausgelaufen bist. Warum um Himmels willen ausgerechnet hinter die Werkstatt? Dort hättest du wahrlich im Qualm ersticken können.»
Oder auch, fügte sie im Stillen zu, elendig verbrennen, wenn das Feuer auf die Werkstatt übergegriffen hätte.
«Ich weiß auch nicht – ich hatte Mette
Feurio!
rufen hören, und bin gleich raus zu ihr in die Werkstatt. Aber da war sie nicht, und dann hab ich’s prasseln und knistern hören – wie damals! Da bin ich zum Abort gerannt, um mich zu verstecken vor dem Unglück, hab einfach Augen und Ohren verschlossen und zu unserm Herrgott gebetet. Dabei hatte ich solche Angst.»
«Du Ärmste. Ich weiß doch, was dir als junges Mädchen widerfahren ist.»
Heiltrud begann unruhig ihre Hände zu kneten.
«Ich hab’s mit ansehen müssen damals», flüsterte sie und schloss die Augen.
Serafina sah, wie sie mit sich kämpfte, und wartete ab.
Leise begann Heiltrud zu sprechen. «Es war an einem heißen Sommertag, grad wie heut, aber sehr windig dabei. Ich war mit meinen Geschwistern beim Vater in der Schneiderwerkstatt, eine ganz kleine Werkstatt hinten im Hof, weil mein Vater nur ein armer Meister war, ohne Knecht und Geselle. Ein Stapel Brennholz vor der Werkstatt hatte plötzlich Feuer gefangen, niemand weiß, warum.»
Sie stockte. Dann fuhr sie mit rauer Stimme fort:
«Da war dieses Knistern und Knacken, das immer lauter wurde. Wir rannten hinaus in den Hof, die Flammen schlugen schon hoch, genau zwischen Werkstatt und unserm Haus, einem kleinen Holzhaus. Ich weiß noch, wie heiß es dort plötzlich wurde und wie mein Vater um Hilfe rief, als er mich und die drei Kleinen hinaus auf die Gasse zog. Dann läutete auch schon die Sturmglocke, die Männer von der Feuerwacht kamen mit ihren Kübeln und machten eine Löschkette vom Brunnen bis zum Haus. Aber es brannte alles nieder.»
Ihr Blick ging ins Leere.
«Und deine Mutter?», fragte Serafina leise.
«Mein Vater hatte gesagt, die Mutter und mein älterer Bruder wären auf dem Markt, dem Himmel sei Dank. Aber dann, sie hatten gerade zu löschen begonnen, kam mein Bruder angerannt, allein, und schrie, die Mutter sei da drin. Und dann ist er mitten hinein, keiner konnt ihn zurückhalten. Und er ist drin geblieben, mit der Mutter verbrannt.»
Längst liefen Serafina die Tränen übers Gesicht. Sie beugte sich zu ihrer Mitschwester hinunter und zog sie an sich. Da begann auch Heiltrud zu weinen, erst unhörbar, dann unter lautem Schluchzen.
«Es tut so weh! Es tut immer noch so weh!»
Serafina strich ihr wieder und wieder übers Haar, bis das Schluchzen allmählich verebbte.
«Geht es dir besser?»
Heiltrud nickte und wischte sich verschämt über das tränennasse Gesicht. Viel jünger wirkte sie plötzlich, sah aus wie das todunglückliche Mädchen von zehn, zwölf Jahren, das sie damals gewesen war. Mit einem Ruck erhob sie sich vom Stuhl.
«Ich muss mich bei dir entschuldigen.»
«Entschuldigen?»
«Wegen diesem Brief. Und den Ohrringen. Und überhaupt, dass ich in deinen Sachen geschnüffelt hab und immer so misstrauisch war.»
Das nun hatte Serafina am wenigsten erwartet. Erst recht nicht die Erklärung, die gleich darauf folgte, in hastigen, aufgewühlten Sätzen.
«Ich hab doch gar nichts gegen dich, Serafina. Grad im Gegenteil. So wie du hab ich immer sein wollen. So stolz und so selbstsicher.
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