Das Attentat
Hauptwachtmeister.
Am Ende des Ganges gingen sie hintereinander eine Kellertreppe hinunter. Anton drehte sich kurz zum Hauptwachtmeister um und fragte:
»Kommen mein Vater und meine Mutter auch hierher?«
Der Hauptwachtmeister sah ihn nicht an.
»Ich weiß von nichts. Wir haben mit der Aktion nichts zu tun.«
In dem kurzen Kellergang war es wieder eiskalt. Links und rechts waren unter Rohren und Leitungen ein paar gelblich gestrichene, rostfleckige Eisentüren zu sehen. An der Decke brannte eine schwache, nackte Glühbirne.
»Wo ist noch Platz?« fragte der Hauptwachtmeister.
»Nirgends. Er muß auf dem Boden schlafen.«
Der Hauptwachtmeister ließ seinen Blick von Tür zu Tür wandern und schien zu sehen, was dahinter war.
»Dann kommt er eben dahin«, sagte er und deutete auf die letzte Tür auf der linken Seite.
»Da sitzt jemand in Einzelhaft, Befehl vom SD-Mann.«
»Tu, was ich dir sage.«
Der Polizist schloß die Tür auf, und der Hauptwachtmeister warf die Stalldecke auf eine Pritsche an der Wand.
»Es ist ja nur für heute nacht«, sagte er zu Anton. »Versuch, ein bißchen zu schlafen.« Und dann, zu einer Ecke hin, in der Anton nichts erkennen konnte: »Du kriegst Gesellschaft, aber halt den Jungen raus, verstanden? Der hat wegen euch schon genug Ärger.«
Als Anton eine Hand in seinem Rücken spürte, trat er über die Schwelle in die dunkle Zelle. Die Tür schlug hinter ihm zu, und er sah nichts mehr.
3
Anton tastete sich bis zu der Pritsche vor und setzte sich hin. Überall um sich herum spürte er den Mann, der da irgendwo sein mußte. Er faltete die Hände im Schoß und horchte den Stimmen auf dem Gang nach. Kurze Zeit später hörte er Stiefel die Treppe hinauf gehen, dann war es still. Jetzt konnte er das Atmen des Mannes hören.
»Warum bist du hier?«
Eine leise Frauenstimme. Ihm war, als würde plötzlich eine große Gefahr von ihm abgewendet. Er riß die Augen auf, um etwas zu sehen, aber die Dunkelheit umgab ihn wie schwarzes Wasser. Auch aus den anderen Zellen hörte er nun gedämpfte Stimmen.
»Sie haben unser Haus in Brand gesteckt.«
Während er das sagte, konnte er es selbst kaum glauben, daß nun zwischen ›Schöne Aussicht‹ und ›Niegedacht‹ nur noch eine rauchende Ruine lag. Es dauerte eine Weile, bis die Frauenstimme antwortete.
»Warum denn das? Gerade eben?«
»Ja.«
»Warum?«
»Aus Rache. Ein Polizist ist erschossen worden, aber wir hatten damit nichts zu tun. Wir durften überhaupt nichts mitnehmen.«
»Verdammt…«, sagte sie. Und dann, nach kurzer Stille: »Herrgott, und du warst womöglich alleine zu Hause?«
»Nein, mit meinem Vater und meiner Mutter und meinem Bruder.«
Er merkte, daß ihm die Augen zufielen. Er riß sie auf, aber es half nichts.
»Wo sind sie jetzt?«
»Weiß ich nicht.«
»Haben die Deutschen sie mitgenommen?«
»Ja, jedenfalls meinen Vater und meine Mutter.«
»Und dein Bruder?«
»Der ist weggerannt. Er wollte…« Erst jetzt fing er an zu weinen. »Was soll ich jetzt…« Er schämte sich, aber er konnte es nicht ändern.
»Komm, setz dich zu mir.«
Er stand auf und ging, einen Fuß vor den anderen setzend, in ihre Richtung.
»Ja, hier bin ich«, sagte sie. »Streck deine Hand aus.«
Er fühlte ihre Finger, sie ergriff seine Hand und zog ihn zu sich. Auf der Pritsche legte sie einen Arm um ihn und drückte mit der freien Hand seinen Kopf an ihre Brust. Sie roch nach Schweiß, aber zugleich auch noch nach etwas anderem, Süßlichem, das er nicht einordnen konnte. Vielleicht nach einem Parfüm. In der Dunkelheit war eine zweite Dunkelheit, und darin hörte er ihr Herz schlagen, vielleicht viel zu schnell für jemand, der nur jemanden trösten will. Als er sich beruhigt hatte, konnte er im Spalt unter der Tür einen schwachen Lichtstreifen erkennen, auf den er nun angestrengt seine Augen richtete. Als er hereingekommen war, mußte sie ihn von der Pritsche aus kurz gesehen haben. Sie legte ihre Decke um ihn und um sich und drückte ihn fest an sich. Sie war nicht so warm wie der Ofen oben im Wachlokal, und doch viel wärmer. Ihm stiegen wieder Tränen in die Augen, aber nun aus einem anderen Grund. Er hätte sie gern gefragt, warum sie hier eingesperrt war, aber er traute sich nicht. Vielleicht Schwarzhandel. Er hörte sie schlucken.
»Ich weiß nicht, wie du heißt«, flüsterte sie, »und das muß ich auch nicht wissen. Du mußt auch nicht wissen, wie ich heiße, aber eines darfst du dein Leben lang nicht
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