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Das Attentat

Das Attentat

Titel: Das Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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unterhalten!«
    »Gut.«
    »Stell dir vor: sehr viel Licht. Sonne. Sommer. Was noch?«
    »Strand.«
    »Ja. Als noch nicht überall Bunker und Drahtverhaue standen. Dünen. Die Sonne, die in eine Dünenmulde scheint. Weißt du noch, wie das blenden kann?«
    »Ja. Die kleinen Zweige, die da lagen, waren von der Sonne immer ganz ausgebleicht.«
    Plötzlich und übergangslos begann sie zu erzählen, als sei noch ein dritter in der Zelle, an den sie sich wenden könnte.
    »Licht, ja, aber Licht ist nicht bloß dieses Licht. Früher wollte ich einmal ein Gedicht schreiben, in dem das Licht mit der Liebe verglichen wird, nein, die Liebe mit dem Licht. Ja, das geht natürlich auch, man kann auch das Licht mit der Liebe vergleichen. Das ist vielleicht noch schöner, denn das Licht ist älter als die Liebe. Die Christen bestreiten das zwar, na ja, sie sind eben Christen. Oder bist du religiös?«
    »Ich glaube nicht.«
    »In dem Gedicht wollte ich die Liebe mit dem Licht vergleichen, das man oft kurz nach Sonnenuntergang in den Bäumen hängen sieht: dieses verzaubernde Licht. Das ist das Licht, das jemand in sich trägt, der einen anderen liebt. Der Haß ist die Dunkelheit, der ist nicht gut. Trotzdem, die Faschisten müssen wir hassen, und da ist der Haß dann wieder gut. Wie ist das eigentlich möglich? Ganz einfach: weil wir sie im Namen des Lichtes hassen, während sie nur im Namen der Dunkelheit hassen. Wir hassen den Haß, und darum ist unser Haß besser als ihrer. Aber darum haben wir es auch schwerer als sie. Für sie ist alles sehr einfach, aber für uns sehr kompliziert. Wir müssen ein bißchen wie sie werden, damit wir sie bekämpfen können, ein bißchen von uns selbst aufgeben. Sie haben damit keine Schwierigkeiten, sie können uns ohne Skrupel kaputtmachen. Wir müssen erst ein bißchen von uns selbst kaputtmachen, bevor wir sie kaputtmachen können. Sie nicht, sie können einfach sie selbst bleiben, darum sind sie so stark. Aber weil kein Licht in ihnen ist, werden sie schließlich doch verlieren. Wir müssen nur aufpassen, daß wir nicht zu sehr wie sie werden und uns nicht selbst kaputtmachen, denn dann hätten sie am Ende doch noch gewonnen…«
    Sie seufzte kurz auf, aber bevor er etwas sagen konnte, fuhr sie fort. Er begriff kein Wort von dem, was sie sagte, aber er war stolz darauf, daß sie mit ihm wie mit einem Erwachsenen sprach.
    »Und dann hat es noch eine weitere Bewandtnis mit diesem Licht. Wenn man einen Menschen liebt, sagt man immer: Ich liebe ihn, weil er so schön ist, von außen oder von innen, oder beides – aber andere Leute sehen das oft nicht, und meistens ist es auch nicht wirklich so. Aber Verliebte sind immer schön, weil sie lieben und deshalb von diesem Licht angestrahlt werden. Es gibt einen Mann, der mich liebt und der mich sehr, sehr schön findet, obwohl ich das gar nicht bin. Er ist schön, obwohl er eigentlich furchtbar häßlich ist. Und ich bin ebenfalls schön, aber nur, weil auch ich ihn liebe – obwohl er das nicht weiß. Er glaubt, daß ich ihn nicht liebe, aber ich liebe ihn. Du bist jetzt der einzige, der es weiß, auch wenn du nicht weißt, wer ich bin und wer er ist. Er hat eine Frau und zwei Kinder in deinem Alter, die ihn so brauchen, wie du deinen Vater und deine Mutter brauchst…«
    Plötzlich verstummte sie.
    »Wo, glaubst du, könnten mein Vater und meine Mutter sein?« fragte Anton leise.
    »Die werden wohl auch irgendwo eingesperrt sein. Morgen wirst du sie bestimmt wiedersehen.«
    »Aber warum sind sie woanders als ich?«
    »Ja, warum? Weil die da oben Verbrecher sind. Und weil alles ein großes Durcheinander ist, und weil sie kopflos sind. Im Moment scheißen sie sich in die Hosen. Aber mach dir keine Sorgen. Ich mache mir viel mehr Sorgen um deinen Bruder.«
    »Als er abgehauen ist, hat er die Pistole von Ploeg mitgenommen«, sagte Anton und hoffte, sie würde das nicht so schlimm finden. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor sie sagte:
    »Ach du lieber Gott…«
    Auch ihrer Stimme war anzuhören, daß das etwas Schreckliches sein mußte. Was war mit Peter geschehen? Plötzlich konnte er nicht mehr denken. Er ließ sich langsam gegen sie fallen und war im selben Augenblick auch schon tief eingeschlafen.

4
    Eine oder vielleicht anderthalb Stunden später wurde er von dem Geschrei geweckt, das nun schon seit Jahren durch ganz Europa hallte. Im nächsten Augenblick leuchtete ihm jemand mit einer hellen Lampe ins Gesicht und zerrte ihn am Arm von der

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