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Das Attentat

Das Attentat

Titel: Das Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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und fragte Anton, ob er gut geschlafen habe. Er sprach niederländisch mit starkem Akzent, war aber gut zu verstehen.
    »Ja, mein Herr«, sagte Anton.
    »Schrecklich, was gestern alles passiert ist.« Der Ortskommandant schüttelte eine Weile den Kopf. »Die Welt ist ein Jammertal. Es ist überall das gleiche. Mein Haus in Linz ist auch ausgebombt. Alles kaputt. Kinder tot.« Kopfschüttelnd sah er Anton an. »Du willst doch etwas sagen«, sagte er. »Sag's nur.«
    »Sind mein Vater und meine Mutter vielleicht hier? Die sind gestern auch mitgenommen worden.« Ihm war klar, daß er nichts von Peter sagen durfte, denn dann würde er ihn womöglich auf eine Spur bringen.
    Der Ortskommandant begann wieder in Papieren zu blättern. »Das war eine andere Dienststelle. Tut mir leid, da kann ich nichts machen. Zur Zeit geht alles drunter und drüber. Die sind sicher irgendwo in der Nähe. Müssen wir abwarten. Der Krieg kann ja nicht mehr lange dauern. Dann wird das alles ein böser Traum gewesen sein. Na«, sagte er plötzlich lachend und streckte beide Arme nach Anton aus, »was machen wir jetzt mit dir? Bleibst du bei uns? Wirst du Soldat?«
    Auch Anton lächelte und wußte nicht, was er sagen sollte.
    »Was willst du später werden…«, er warf einen kurzen Blick auf eine kleine graue Karte. »Anton Emanuel Willem Steenwijk?«
    Anton begriff, daß der Ortskommandant seine Stammkarte vor sich liegen hatte.
    »Ich weiß noch nicht. Vielleicht Flieger.«
    Der Ortskommandant lächelte, doch das Lächeln verschwand sofort. »So«, sagte er und schraubte die Kappe von einem dicken, orangefarbenen Füllfederhalter. »Jetzt müssen wir mal zur Sache kommen. Hast du Verwandte in Haarlem?«
    »Nein.«
    Der Ortskommandant blickte auf.
    »Überhaupt keine Verwandten?«
    »Nur in Amsterdam. Meinen Onkel und meine Tante.«
    »Glaubst du, daß du solange bei ihnen wohnen kannst?«
    »Ganz bestimmt.«
    »Wie heißt der Onkel?«
    »Van Liempt.«
    »Vornamen?«
    »Eh… Peter.«
    »Beruf?«
    »Arzt.«
    Der Gedanke, daß er für eine Weile zu seinem Onkel und seiner Tante ziehen sollte, stimmte ihn froh. Er dachte oft an das schöne Haus an der Apollolaan; irgendwie hatte es etwas Mysteriöses für ihn, vielleicht lag das an der großen Stadt darumherum.
    Während der Ortskommandant Name und Adresse aufschrieb, sagte er mit getragener Stimme:
    »Phöbus Apollo! Der Gott des Lichtes und der Schönheit!« Plötzlich schaute er auf seine Armbanduhr, legte den Füllfederhalter hin und stand auf. »Moment«, sagte er und ging schnell aus dem Zimmer. Auf dem Flur rief er einem Soldaten etwas zu, der daraufhin stampfend loslief. »Gleich geht ein kleiner Konvoi nach Amsterdam«, sagte er, als er zurückkam, »da kannst du dann mitfahren.« Dann rief er laut nach einem Schulz, das schien der Feldwebel zu sein, der Anton nach Amsterdam begleiten mußte. Er selbst wollte schnell noch eine Notiz für die dortigen Behörden schreiben, währenddessen sollte der Junge warm eingekleidet werden. Er kam auf Anton zu, gab ihm die eine Hand und legte ihm die andere auf die Schulter. »Gute Fahrt, Herr Fliegergeneral. Sei immer schön tapfer.«
    »Ja, mein Herr. Auf Wiedersehen, mein Herr.«
    »Servus, Kleiner.«
    Er kniff ihm mit gekrümmtem Zeige- und Mittelfinger kurz in die Wange und ließ ihn dann aus dem Zimmer führen.
    In einer klammen, kalten Vorratskammer suchte Schulz Sachen für ihn aus und redete dabei in einem Dialekt, von dem Anton kein Wort verstand. Lange Reihen Soldatenmäntel und Stiefel, auf Wandbrettern reihenweise neue Helme. Schulz kam mit zwei dicken, grauen Pullovern wieder zum Vorschein. Anton mußte sie übereinander anziehen, um seine Ohren wurde ein Schal gebunden, und auf den Kopf kam ein Helm. Als ihm das schwere Ding über die Ohren rutschte, stopfte Schulz Papier hinter das lederne Stirnband und zog den Kinnriemen fest an, der Helm paßte nun etwas besser. Er musterte Anton aus einiger Entfernung und schüttelte unzufrieden den Kopf. Aus der Reihe mit den kleinsten Größen nahm er einen Mantel und hielt ihn Anton an, holte aus einer Schublade eine riesige Schere, legte den Mantel auf den Fußboden und brachte ihn (Anton sah mit großen Augen zu) im Handumdrehen auf sein Maß, indem er an Saum und Ärmeln einfach breite Streifen abschnitt. Um die Taille wurde ein ausgefranster Strick geknotet, daß nichts verrutschen konnte, und zum Schluß bekam Anton ein Paar große, gefütterte Handschuhe.
    Schulz fing an zu lachen, sagte

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