Das Auge Aldurs 3 - Der Riva Kodes
auf so quälende Weise verbirgt. In seinem Bericht an den Kaiser gab Horban folgende Zusammenfassung:
Zuerst wollte der Gorim von dem Gesandten wissen, was er im Land der Ulgos zu schaffen habe und warum er ihren heiligen Ort in Prolgu entweiht habe.
Horban antwortete so diplomatisch wie möglich: Da die Ulgos sich entschlossen hätten, unter der Erde zu leben, könne ein Fremder unmöglich wissen, daß sie überhaupt existierten. Er beschrieb sich selbst als eine Art Forscher, den man ausgeschickt habe, um hartnäckige Gerüchte über ein in den Bergen lebendes Volk zu bestätigen oder zu entkräften.
Dann fragte der Gorim Horban, wie er den ›Ungeheuern‹ entkommen sei, wollte seine rätselhafte Frage jedoch nicht näher erläutern, als Horban versicherte, er wisse nichts von solchen Ungeheuern. *
Und dann fragte der Gorim – unter Verletzung der fundamentalsten Grundsätze guten Benehmens – Horban nach dem Namen seines Gottes. Die Frage war dermaßen schockierend, daß Horban sie später wörtlich zitieren konnte.
»Und wer ist euer Gott?« sagte der Gorim mit strenger Miene. »Ist er es, der die Welt gespalten hat?«
Horban erkannte rasch, daß man von dem Ulgo nicht jene Etikette erwarten konnte, welche die zivilisierte Menschheit entwickelt hatte, um den unvermeidlichen Streit und das mögliche Blutvergießen zu vermeiden, die mit theologischen Disputen einhergehen können, und entschloß sich daher, keinen Anstoß zu nehmen. Er entgegnete so förmlich wie möglich: »Ich habe die Ehre, Hochstehender, ein Jünger des großen Gottes Nedra zu sein.« Der Gorim nickte. »Wir kennen ihn«, sagte er. »Der Zweitälteste nach Aldur. Ein nützlicher Gott, wenn auch für meinen Geschmack ein wenig zu steif und förmlich. Es ist der dritte Gott, Torak, der Entstellte, der unser Feind ist. Er war es, der die Erde spaltete und
*
Offenbar unter anderem die Algroths, Hrulgins und Eldrakyn.
das Übel losließ, das die Welt droben heimsucht. Wahrlich, hättest du dich dazu bekannt, Torak zu verehren, wärest du zu einer Grube gebracht und in das Meer ewigen Feuers geworfen worden, das unendlich tief unter uns liegt.«
Ein reichlich erschütterter Horban hatte von dem Gorim daraufhin zu erfahren versucht, wie es denn käme, daß er ein solch profundes Wissen über die sieben Götter besitze. Die Antwort des Gorim entfachte einen theologischen Streit, der nun mehr als neunhundert Jahre andauert. Er sagte: »Wir wissen von den sieben Göttern, weil UL sie uns offenbart hat, und UL kennt sie besser als jeder andere, denn er ist älter als sie.«
Diese schlichte Feststellung war natürlich nichts weniger als ein Donnerkeil, der die Theologen aller westlichen Nationen in hellen Aufruhr versetzte. Auf der Stelle ließen sie von ihren komplizierten Versuchen ab, einander die Überlegenheit ihres Gottes zu beweisen, und stürzten sich in den bedeutendsten Disput der fünf Jahrtausende. Die fundamentale Frage lautete selbstverständlich: »Gibt es sieben Götter, wie wir immer geglaubt haben, oder gibt es acht?« Falls es sieben sind, verehren die Ulgos in heidnischem Götzendienst einen falschen Gott und sollten bekehrt oder ausgerottet werden. Falls es acht sind und dieser mysteriöse ›UL‹ ebenfalls ein Gott ist, ist er dann nicht fünftausend Jahre lang von allen zeremoniellen Opfergaben ausgeschlossen gewesen? Und sollten wir ihn dann nicht zu versöhnen trachten? Und falls es acht sind, könnte es dann nicht auch neun geben – oder neunhundert? Alornische Theologen bestätigten aus ihren heiligen Schriften, daß der Gott der Angarakaner, Torak, tatsächlich die Welt gespalten habe und tatsächlich entstellt sei. So faszinierend diese Fragen aber auch sein mögen, hier ist nicht der Ort, um näher darauf einzugehen. Für unseren Zweck genügt es festzuhalten, daß die Ulgos die Quelle des Streits sind.
Zum Abschluß seines Gesprächs mit dem Gorim schloß Horban ein beschränktes Handelsabkommen ab, das zwei Karawanen pro Jahr erlaubte, die Reise nach Prolgu zu unternehmen und ein Lager in dem Tal unterhalb der Stadt aufzuschlagen – ein Tal, das mit einem ulgonischen Wort benannt war, was soviel bedeutet wie ›wo die Ungeheuer hausen‹, ein kurioser, in Verbindung mit ihrer Mythologie stehender Begriff.
Damals erklärte der Gorim, daß diejenigen aus seinem Volk, die Neigung dazu verspürten, dort hingehen und die Waren der Kaufleute in Augenschein nehmen dürften. Als Horban ihn mit der Bitte um mehr
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