Das Auge Aldurs 3 - Der Riva Kodes
unter dem schlimmsten Schneesturm, den die Geschichte je verzeichnet hat. Als dieser Sturm sich nach etwa einer Woche endlich legte, war das Südheer in vierzehn Fuß hohen Schneewehen versunken, die sich bis in den Frühsommer hielten. Dann, nach einem plötzlichen Temperaturanstieg, verwandelte die Wüste sich in ein gewaltiges Beinhaus. Heute ist uns klar, daß der Schneesturm und die darauffolgenden klimatischen Bedingungen keines natürlichen Ursprungs waren. Indes vermag keine der vielen Theorien, die aufgestellt wurden, um diese Anomalie zu erklären, völlig zu überzeugen. Was auch der Grund gewesen sein mag, das Ergebnis ist eine der größten Tragödien in der Geschichte der Menschheit. Die Südarmee, zuerst durch Schnee und Kälte, dann durch ein SchlammMeer in jenem Ödland gefangen, ging elendiglich zugrunde. Die wenigen Überlebenden, die am Ende jenes Sommers ausgemergelt in Mallorea eintrafen, berichteten von Greueln, die so entsetzlich sind, daß wir sie hier nicht wiedergeben können.
Die zweifache Katastrophe, die sich im Westen ereignet hatte, und der vorgebliche Tod Toraks durch die Hand des rivanischen Wächters demoralisierte die Bevölkerung von Mallorea und in den westlichen angarakanischen Königreichen. In Erwartung einer Gegeninvasion zogen die Murgos sich in befestigte Stellungen im Gebirge zurück. Die Thull-Gesellschaft löste sich völlig auf und fiel auf den Stand primitiven Dorflebens zurück. Die weniger leicht zu erschütternden Nadraker zogen sich in die Wälder zurück, und die Unabhängigkeit des heutigen Nadrak läßt sich in vielerlei Hinsicht auf diese Epoche erzwungener Autarkie zurückführen. In Mallorea aber nahmen die Ereignisse einen anderen Verlauf. Der sabbernde alte Kaiser tauchte aus der Versenkung auf, um die Zügel wieder in die Hände zu nehmen und zu versuchen, die zerschlagene Bürokratie wiederaufzubauen. Versuche der Grolims, die Kontrolle über Mallorea zu behalten, stießen auf allgemeinen Haß. Ohne Torak besaßen die Grolims keine wirkliche Macht. Wenngleich die meisten seiner Söhne vor Vo Mimbre gefallen waren, blieb dem alten Kaiser noch ein einziges, talentiertes Kind, die Frucht seines Alters, ein siebenjähriger Knabe. Die letzten ihm verbleibenden Jahre verbrachte der Kaiser damit, seinen Sohn, Korzeth, zu unterrichten und ihn auf die Aufgabe vorzubereiten, sein ausgedehntes Reich zu regieren. Als der alte Kaiser schließlich dem Altersschwachsinn verfiel, setzte der damals etwa vierzehnjährige Korzeth seinen Vater kalten Herzens ab und bestieg den Kaiserthron.
In den Jahren nach Vo Mimbre war die malloreanische Gesellschaft wieder in ihre ursprünglichen Bestandteile Melcena, Karanda, Dalasien und Alt-Mallorea zerfallen. In einigen Gebieten gab es sogar eine Bewegung, die Nation noch weiter in jene prähistorischen Königreiche aufzuspalten, die vor dem Eintreffen der Angarakaner auf dem Kontinent existiert hatten. Diese Bewegung hin zur Abspaltung war im Fürstentum Gandahar in Südmelcena, in Zamad und Voresbo in Karanda sowie in Perivor in den dalasischen Protektoraten besonders stark. Die separatistischen Regionen ließen sich von Korzeths Jugend täuschen und erklärten übereilt ihre Unabhängigkeit vom Kaiserlichen Thron in Mal Zeth. Andere Distrikte und Fürstentümer, vor allem Ganesia, Darshiva und Likandia, ließen erkennen, daß sie ihrem Beispiel bald folgen würden. Korzeth handelte sofort, um die Flut der Revolution einzudämmen. Der Kind-Kaiser verbrachte den Rest seines Lebens im Sattel und richtete das vielleicht größte innenpolitisch verursachte Blutbad in der Geschichte an; doch als er sein Werk vollendet hatte, übergab er seinem Nachfolger ein wiedervereintes Mallorea.
Die neuen Kaiser von Mallorea, die Nachfahren Korzeths, brachten eine neue Art der Regierung auf den Kontinent. Vor der Katastrophe im Westen war der Kaiser oftmals nicht mehr als eine Galionsfigur gewesen, und die Macht hatte größtenteils in den Händen der Bürokratie geruht. Nun aber herrschte der Kaiserliche Thron mit absoluter Macht. Das Machtzentrum verlagerte sich im Einklang mit der überwiegend militärischen Ausrichtung Korzeths und seiner Nachkommen von Melcene nach Mal Zeth. Wie es fast immer der Fall ist, wenn die Macht in den Händen eines einzigen Herrschers liegt, breiteten sich Intrigen aus. Verschwörungen, Komplotte, geheime Umtriebe und ähnliches nahmen überhand. Die verschiedenen Würdenträger schmiedeten Ränke, um Gegenspieler
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