Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
Agenten verhört werden sollten. Leonard Finney, die burmesische Staatsangehörige Ni Nyian und ein älterer Chinese namens Sen Hong Hoa. Ohne Zweifel jener weißhaarige Meister Sen, der in Finneys Bericht bereits bei früherer Gelegenheit Erwähnung fand. Erst durch ihn dürfte Leonard von Ereignissen in Singapur erfahren haben, an denen er selbst nicht beteiligt war. Und von den Hintergründen, die beide letztlich in Tong Sas Lager führten. Ob Leonard in Burma aufgefallen war oder verraten wurde, vermochte Meister Sen nicht zu sagen. Leonards spätere Äußerungen belegten, dass er Vertrauen zu dem älteren Kantonesen fasste, und dies mochte wohl auch umgekehrt der Fall sein. Gleichzeitig lösten die Gespräche mit dem weisen Chinesen in ihm Bestürzung aus. Oder einen Konflikt, der ihn mehr und mehr verzweifelte.
Anfangs noch handelte er zielstrebig, mit klaren Gedanken. So gab er Nini als seine Ehefrau aus. Die Trauung wäre in Mandalay vollzogen worden, das entsprechende Papier aber während des Chaos in Tong Sas Lager verloren gegangen. Er tat dies im Bemühen, ihr eine drohende Abschiebung nach Burma zu ersparen. Wie lange sie sich im Gewahrsam der DEA-Agenten befanden, verzeichneten die Protokolle nicht, aber alle drei wurden schließlich auf freien Fuß gesetzt.
Die Düsternis von Leonard Finneys folgenden Kapiteln ähnelte der in Korbmachers Brief. Und tatsächlich verbanden sich beide Schicksale. Und das Glied, das diese Verbindung schuf, schlummerte in meinem Keller!
Die Frau, die Leonard Finney in der Einsamkeit der Chin-Berge beerdigt hatte, erwähnte jene Bannpfähle. Um Gewissheit zu erlangen, wandte ich mich an das Berliner Völkerkundemuseum. Auf meine Bitte, mir detaillierte Fotografien der Objekte zu übersenden, erhielt ich eine beunruhigende und gleichermaßen verwirrende Antwort. Man bestätigte mir, im Besitz zweier solcher als kera bezeichneter Bannpfähle gewesen zu sein. Sie seien jedoch auf bislang ungeklärte Weise aus dem Fundus des Museums verschwunden. Als weit rätselhafter bezeichnete man den Umstand, dass auch sämtliche Papiere, die auf ihre Existenz verwiesen, unauffindbar blieben. Frachtbriefe, Empfangsbestätigungen, Katalogauszüge, sogar die Negative der Fotografien, die man der Presseabteilung übergeben hatte. Da der ehemalige Kurator des Museums, der die Lieferung in Empfang genommen hatte, inzwischen verstorben war, wusste man nicht einmal mehr, auf welchem Wege die Objekte nach Berlin gefunden hatten. Man kannte zwar den Namen des Überbringers, doch kurz nach dem Verkauf der Gegenstände verschwand er unter sonderbaren Umständen spurlos. Nach über zwanzig Jahren konnte niemand mehr ermittelt werden, der auf irgendeine Weise mit den Gegenständen in Berührung gekommen war. Es schien geradewegs so, als habe das Museum sie nie besessen. Einzig ein Vermerk über deren Verlust zeugte davon und ein kurzer Artikel in einer Fachzeitschrift. Per e-mail sandte man mir eine Kopie, versehen mit einer Fotografie. Beides stammte aus der Originalausgabe von Oktober 1986 und der Artikel erging sich schwärmerisch in Superlativen über die „absolute Sensation, dass heute noch Nomaden durch den Dschungel Borneos streifen, die noch nie in Kontakt mit der Außenwelt getreten sind.“
Es dauerte siebenundzwanzig Jahre, bis dieser Kontakt stattfand. Wenn man den ziellos im Urwald umherirrenden Korbmacher denn als Außenwelt bezeichnen wollte. Auch der Artikel verschwieg Namen von Beteiligten und gab lediglich den Fundort an. Das beigefügte Bild aber versetzte mir einen Schlag. Es zwang mich, den hölzernen Götzen aus seinem Kellerversteck zu holen. Ich hatte ihn im tiefsten Winkel vergraben, darüber hinaus ebenso sorgfältig verpackt, wie vordem auch Korbmacher verfahren war. Nur so, bestattet in einem Kistchen und ummantelt von einer dicken Schicht Klebeband konnte ich verhindern, dass sie sich nachts in meine Träume schlich.
Widerwillig kramte ich das Ding hervor. Dem ersten Schlag folgte heillose Verwirrung. Die obere Abschlussfigur auf einem der dargestellten kera war mit meinem Götzen identisch. Hatte man ihn damals wieder in den Dschungel geschafft? Nur, damit er auf völlig irrsinnige Weise eines Julimorgens auf meiner Türschwelle wieder auftauchte? So absurd der Gedanke im ersten Moment anklang, lag er nach allem, was ich bisher erfahren hatte, dennoch im Bereich des Möglichen. Und an einem bestand kein Zweifel. Leonard Finney war dort gewesen. Genau dort, wo Jahre
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