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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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einzigen Genickschuss.
Die süßliche Fäulnis, die durch die Gänge wehte, hielt er für Verwesungsgeruch. Die Tür zum Kühlraum 4 schloss jedoch luftdicht ab. Selbst direkt davor nahm er von dem bestialischen Gestank der Leichen nichts wahr. Die Quelle des Geruchs lag weiter vorn. Er machte sich auf den Weg. Im Verteilerkasten, keine fünf Meter entfernt, schmorte eine Hauptleitung durch und setzte mit einem Knall die Isolierung in Brand. Ein erster Tropfen der brennenden Ummantelung patschte dicht neben dem Sprengsatz auf den Boden und verkokelte.
    Raus hier !, hämmerte es in seinem Kopf.
Talley wich rückwärts, bis er gegen die Tür nach Steuerbord stieß. Da drüben, im Funkraum, hatte er eben eine Bewegung gesehen. Panisch suchten seine Augen die Brücke ab, entdeckten aber nirgends einen Gegenstand, der als Waffe taugte. Jedes Geräusch vermeidend drückte er vorsichtig die Klinke herunter. Verriegelt! Mit der Fußspitze schob er die Tür zur Kapitänskajüte auf. Eine Falle. Die Kabine besaß nur eine Verbindung zur Brücke. Wenn er nach Backbord hinaus wollte, der einzig offene Weg, musste er wieder am Funkraum vorbei. Warum meldete sich Finney nicht, verdammt? Er nahm allen Mut zusammen und schob sich am Instrumentenbord entlang zur anderen Seite. Er schaffte nur ein Viertel des Weges. Aus dem Funkraum tönte ein hässliches Klirren. Der Horror nagelte ihn auf der Stelle fest. Talley öffnete den Mund zu einem Hilferuf. Nur ein einzelner Krächzer schaffte es über den Gaumen. Lautlos kroch der Schatten aus dem Funkraum über den Brückenboden.
    Der Knall der verschmorenden Leitung alarmierte Leonards Ohren. Er beschleunigte seinen Schritt, passierte das Schott zum Laderaum III. Von der Seite schlug ihm die Fäulnis ins Gesicht. Es war Verwesungsgeruch. Teile der Ladung bildeten eine schmale Gasse. An ihrem Ende, in der Nähe der Bordwand, lag eine weitere Leiche, auf das Dunkelrot ihres getrockneten Blutes gebettet.
„Großer Gott!“
Die Leiche, halb nackt, zeigte Spuren einer entsetzlichen Folter. Eine klaffende Wunde in der eingefallenen Bauchdecke. Dem Mann fehlte ein Organ! Leonard kämpfte gegen den Brechreiz und zwang sich, genauer hinzusehen. Ein bunter Wickelrock umschlang die Hüften des Toten. Er gehörte nicht zur Mannschaft. Der Körperbau und das knochige Gesicht erinnerten Leonard an die Indios Brasiliens. Oder die Inka-Nachfahren in Peru. Ebenso die persönlichen Gegenstände. Eine lederne Umhängetasche, eine halb heruntergebrannte Kerze und ein Altar, der einem Voodoopriester gehören mochte. Geschmückt mit Räucherkerzen, einer Messingschale, in der Obststücke verfaulten, daneben vertrocknete Blumen, Tierknochen und Vogelfedern. Kein blinder Passagier, denn er hatte keine Mühe darauf verschwendet, sich und seine Mitbringsel zu verstecken. Leonard fiel die unnatürliche Stellung des Toten auf. Der Oberarm presste sich an den Brustkorb, der Unterarm war halb nach oben gewinkelt und der Zeigefinger der rechten Hand gestreckt. Den Kopf hielt die Leiche verdreht, als folge er der Richtung, die sein Finger vorgab.
Der Mann hatte etwas versteckt, bevor seine Mörder kamen! Mit einer letzten Kraftanstrengung seines malträtierten Körpers hinterließ er einen Hinweis. Die Ladung zur rechten Seite der Leiche bestand aus hoch aufgestapelten, mit Reis gefüllten Säcken. In dem engen Raum dazwischen konnte Leonard mit bloßem Auge nichts erkennen. Er holte ein schweres Jagdmesser, ein Abschiedsgeschenk seiner Navy-Kumpel, aus dem Rucksack und hackte auf den unteren Sack ein. Der herausrieselnde Reis schaffte genug Platz und Leonard zwängte seine Hand in die Lücke. Die Finger ertasteten einen weichen Gegenstand. Behutsam zog er ihn hervor. Ein unaufmerksamer Betrachter hätte es für einen öligen Wischlappen gehalten. Es stellte sich als Lederbeutel heraus, flach und rechteckig, an allen vier Seiten vernäht. Was immer sich darin verbarg: Es musste wertvoll genug sein, dreiundzwanzig Unbeteiligte zu ermorden. Er stand vor dem Mann, dem der Angriff gegolten hatte.
Aber wer war er?
Dann fuhr er zusammen, als hätte man ihm ein heißes Eisen in die Niere gestoßen. Es war ihm zunächst entgangen, weil der Leichnam überall schreckliche Wunden aufwies. Doch er trug noch eine andere, bereits angeheilte Verletzung. Unterhalb des Halses, schräg zur linken Schulter hin, zogen sich vier längliche, parallel verlaufende Schnittwunden.
Als sei er von der Pranke eines Tigers getroffen worden.

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