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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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Der Schamane, von dem der Brief seiner Eltern sprach. Der Mann, den sie gesucht hatten, der alles wusste! Die Erkenntnis paralysierte Leonard. Betrachtete er dieses Massaker, bestand am Tod von Martha und Evan kein Zweifel mehr. Inständig hoffte er, dass sie nicht so leiden mussten wie dieser bedauernswerte Kerl.
Ein ätzender Brandgeruch stieß ihm in die Nase. Er riss sich von dem grauenhaften Anblick los, hastete Richtung Bug. Nach wenigen Schritten entdeckte er die Ursache. Ein Verteilerkasten, aus dem tropfenweise brennendes Plastik herabfiel. Es formte handtellergroße Flammeninseln am Boden. Sie umflackerten ein braunes Päckchen. Bevor er näher herangehen konnte, plärrte Talleys panische Stimme aus dem Walkie-Talkie.
„Hilfe! Verdammt, Finney! Helfen Sie mir!“
„Was ist los?“, brüllte er.
    Unfähig, sich zu bewegen, stierte Talley auf die Tür zum Funkraum.
„Hier ist jemand.“
„Unmöglich. Das Schiff ist ein Sarg. Niemand hat überlebt.“
„Mann, glauben Sie mir. Da versteckt sich jemand im Funkraum.“
„Talley! Sehen Sie selbst nach. Ich hab hier ein anderes Problem.“
„N...n...nachsehen?“, stotterte Talley.
„Machen Sie schon. Oder wollen Sie, dass uns der ganze Kasten abfackelt.“
„Abfackelt? Was soll das heißen? Abfackelt.“
Das Walkie-Talkie quietschte, Finney antwortete nicht mehr. Einen Fuß vor den anderen schiebend, bewegte sich Talley auf die Tür zu. Einen Arm streckte er weit vor, um die Klinke zu greifen. Noch bevor er sie erreichte, schoss der Schatten kreischend aus dem Funkraum. Ein grauschwarzer kormoranähnlicher Vogel. Mit einem Flügel wischte er über Talleys Kopf, drehte ab und sauste durch die offene Tür ins Freie. Nach Luft schnappend sackte Talley auf den Boden. Glassplitter bohrten sich in sein Hinterteil. Er bemerkte es nicht einmal.
    D er Feuerlöscher klemmte drei Meter den Gang hinunter an einer Wand, hinter dem brennenden Verteilerkasten.
„N...n...nachsehen?“, hörte er Talley krächzen.
Leonard lief los.
„Machen Sie schon. Oder wollen Sie, dass uns der ganze Kasten abfackelt.“
Nur noch einen Meter war er von dem Verteilerkasten entfernt. Plötzlich stockte er, das Funkgerät entglitt seiner Hand und knallte auf den Boden. Jetzt erkannte er das Zeugs auf dem Boden zwischen dem kokelnden Plastik. Ein schwarzbraunes Päckchen, das in diesem Moment Feuer fing. Ein Sprengsatz.
Blitzschnell erfasste er die Situation und verrechnete sich nur um ein oder zwei Sekunden. Bis zum Feuerlöscher schaffte er es nicht mehr. Das Schott hinter ihm, wo er in Sicherheit wäre, war ebenso weit entfernt. Die Schiffsladung bot keine Deckung. Sie würde ihm um die Ohren fliegen. Seine Zeit reichte nicht einmal für ein Gebet. Die Flammen fraßen sich in den Zünder.

Kapitel 11
    Dallin Runciman lud zum Diner. Das tat er oft, obwohl er Gesellschaften verabscheute. Singapur war Runcimans zweiter Wohnsitz, der bescheidenere, wie er stets betonte. Und er nutzte jede Gelegenheit, mit seiner poolgeschmückten 12-Zimmer-Villa anzugeben. Selbst jetzt, da es Grund zur Trauer gab. Oder wenigstens für Mitgefühl. Doch sogar in solchen Momenten war ihm sein Ego das wichtigste, seine Macht, seine Position zur Schau zu stellen. Durch die nachlässig verteilte Tünche seines mit enormer Energie erworbenen Reichtums schien an manchen Stellen seine proletarische Herkunft durch. Im Speisezimmer rangelte Designermobiliar mit fernöstlichem Kitsch um die Gunst des Betrachters. Der Hausherr thronte mit der billigen Attitüde eines Feudalfürsten an der Stirnseite des Tisches. Auf den niederen Rang der Längsseite verbannt saß ihm seine Frau zur Seite. Halb Kanadierin, halb Chinesin, ein schmallippiger, flachbrüstiger Drachen. Der über zwanzig Jahre währende Ehekampf mit dem Platzhirschen Runciman hatte sie zermürbt. Sie verbarg ihre Niederlage hinter einer Fassade aus Gleichgültigkeit. Ihr gegenüber hatte Lin Liu Lang Platz genommen, mit Ende zwanzig bereits Leiterin der Rechtsabteilung von SA Shipping. Ein steiler Weg, den es ihr abzukürzen gelang über Runcimans geheimes Liebesnest in der Innenstadt. Ohnehin äußerst attraktiv betonte sie ihre Figur noch mit Kleidung, die nur laszive Zentimeter von der Grenze zum Vulgären entfernt war.
Der Mann neben ihr spielte in dieser Zusammenkunft eine undurchsichtige Rolle. Mister Mohan Mahangir, ein feingliedriger Malaie, dessen zierliche Hand bei der Begrüßung wie ein Waschlappen in der seines Gegenübers

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