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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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zog ihn über die Brüstung. Dann wies er auf die Aufbauten.
„Die Kommandobrücke“, sagte er knapp und lief voran.
Leise äffte Talley den Tonfall nach, seinen Ärger herunterwürgend: „Die Kommandobrücke. Zu Befehl, Sir.“
Ihre erste Entdeckung schockierte ihn und er vergaß auf der Stelle seinen kleinlichen Privatkrieg.
„Verdammt, Finney, ist das Blut?“
Sie fanden es überall. Spritzer, Lachen, verschmierte Spuren. Auf dem unteren Deck, auf den Stiegen zum ersten Deck des mittleren Aufbaus, an den Wänden. Noch weiter oben, auf dem Bootsdeck und in der Nähe der Kommandobrücke entdeckten sie Einschusslöcher in den Wänden. Auf dem Boden verstreut glitzerten Patronenhülsen.
„Ein verdammtes Massaker“, keuchte Talley.
Leonard nahm eine der Patronenhülsen auf.
„M 16, amerikanisches Sturmgewehr“, sagte er, „ziemlich dicke Artillerie. Sie haben hier eine regelrechte Jagd veranstaltet.“
„Wo sind die ...“ Talley stockte. Das Wort Leichen blieb an seinen Lippen kleben. „Dieser Geruch. Denken Sie, sie sind noch irgendwo hier.“
„Ich glaube nicht“, entgegnete Leonard. „Wie viel Mann waren an Bord?“
„Dreiundzwanzig. Kapitän, fünf Offiziere, siebzehn untere Ränge.“
„Bei so vielen Toten würde es hier deutlich strenger riechen.“
Talley wollte sich über diese Taktlosigkeit aufregen, doch Leonard schnitt seine Aufwallung ab.
„Irgendwo hakt die Sache.“
Die Treibjagd hinterließ auf dem ganzen Schiff ihre Spuren. Das Blut, die Einschusslöcher und Einkerbungen von Querschlägern erweckten das Geschehen vor Leonards innerem Auge zum Leben. Trampelnde Schritte, Schreie, Matrosen, die um ihr Leben liefen, vermummte Gestalten, die kaltblütig ihre Magazine leerschossen, Tote, die durch die Gänge geschleift wurden. Das Ganze war nach einem Plan abgelaufen, minutiös, mörderisch. Es sollte keine Zeugen geben. Dass der Frachter in dieser Bucht lag, fügte sich nicht in diesen Plan. Dann hörte er es wieder. Es kam von tief unten. Dieses Mal endete das kratzende Geräusch mit einem hohlen Klang.
„Jesus. Was war denn das?“
Die Angst schlich sich in Talleys Stimme.
„Wir müssen runter“, sagte Leonard und holte zwei Stablampen aus dem Rucksack.
„Da runter?!“, stieß Talley panisch aus. „Sind Sie verrückt? Keine zehn Pferde kriegen mich da runter. Weiß der Teufel, was sich da versteckt.“
„Okay. Was schlagen Sie vor?“
Talley bemerkte, dass er zu viel von seiner Furcht verriet und mühte sich um Autorität.
„Gut, für diese Untersuchung wichtig ist die Kommandobrücke. Und die Mannschaftsräume“, sagte er, um einen festen Tonfall ringend. „Vielleicht hat irgendjemand einen Hinweis hinterlassen. Darum kümmere ich mich. Sie können meinetwegen da runter. Sehen, was da los ist.“
Leonard öffnete die Stahltür zu einem Treppenabgang, der ins Innere führte.
„Moment, Moment. Wir sollten auf jeden Fall eine Art Verbindung halten.“
Der Rucksack enthielt zwei Walkie-Talkies. Eines davon drückte Leonard dem Büroleiter in die Hand.
„Können Sie damit umgehen?“
Er konnte nicht verhindern, dass die Frage klang, als sei sie an einen Zehnjährigen gerichtet. Der Ärger, wie ein Volltrottel behandelt zu werden, verdrängte die Angst aus Talleys Knochen. Mürrisch schnappte er sich das Gerät und machte sich fluchend auf den Weg zur Brücke.
    Die Schlagseite des Schiffes erschwerte den Abgang über die schmalen Stiegen. Der stählerne Boden gab den Schuhen wenig Halt und Leonard bewegte sich an der Seitenwand abstützend langsam nach unten. Auf den oberen Decks fiel durch Luken Licht in die engen Gänge. Hier fanden sich ebenfalls Spuren der Tragödie. Düsternis breitete sich aus, je weiter er nach unten vordrang. Er schaltete die Stablampe ein, um seinen Weg durch den stockdunklen Bauch des Schiffes zu finden. Die stickig heiße Luft spürte er wie die Berührung eines schwitzenden Fettsacks in einer überfüllten U-Bahn. Der süßliche Fäulnisgeruch drang unangenehmer als an Deck in die Nase. Irgendwo hier unten musste er seine Ursache haben. Wieder hörte er das Kratzen, aus einer anderen Richtung als eben noch, als hätte es sich durch das Schiffsinnere bewegt. Leonard erreichte die schmale Treppe zum Maschinendeck und richtete den Strahl der Lampe nach unten. Er genügte gerade, um Bruchteile des Decks aus dem Dunkel zu holen. Der Kegel huschte über die pechschwarzen Kolbengehäuse des Hauptaggregates. Über Tanks, Stege, die

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