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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Tempo. Wie hätte sie ihre Tochter in der Nacht finden sollen? Hätte man sie, eine allein reisende Frau, überhaupt in die Stadt gelassen? Und wie sollte es jetzt weitergehen, wenn sie erst die Tore der Stadt durchschritten hatte? Wie sollte sie Michelle und Ali finden? Sollte sie einfach die Händler auf dem Basar und die Barbiere nach den beiden fragen? Bestimmt kannte jemand den Arzt Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina und konnte ihr sein Haus zeigen. Allerdings war diese Vorgehensweise auch gefährlich. Sie zog dadurch viel zu viel Aufmerksamkeit auf sich und natürlich auch auf Ali. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Qazwin am späten Abend zu erreichen. Im Licht der Fackeln hätte sie sich leichter krank stellen und nach einem Arzt fragen können als am helllichten Tag. Ach, wenn sie doch nur gestern Abend nicht so früh ihr Lager aufgeschlagen hätte.
    Beatrice schüttelte sich und atmete tief ein, um die quälenden, wie Mühlsteine in ihrem Kopf kreisenden Gedanken abzuschütteln. Sie würde Ali und Michelle schon finden. Sie würde einfach alles auf sich zukommen und sich wie bisher von ihrem Gefühl leiten lassen. Und dann, mit ein bisschen Glück, würde sie schon heute Abend mit ihrer Kleinen wieder zusammen sein. Und natürlich mit Ali ...
    Auf der Straße nach Qazwin herrschte nur wenig Betrieb. Beatrice überholte einen Bauern, der auf seinem zweirädrigen, von einem dürren, struppigen Maultier gezogenen Karren zwei große Weidenkörbe mit Gemüse transportierte. Und eine Frau kam ihr entgegen, die mit einem Korb auf ihrem Kopf die Stadt verließ. Sonst traf sie niemanden. Das Stadttor stand offen, und die Wachen, die auf den Türmen zu beiden Seiten des Tors postiert waren, achteten nicht auf sie. Zwei von ihnen verkürzten sich die Zeit mit einem Würfelspiel, einem war das Kinn auf die Brust gesunken, und der Vierte starrte so gelangweilt und stumpfsinnig vor sich hin, dass er bestimmt auch bald einschlafen würde. Beatrice war überrascht. In Gazna wäre eine derartige Schlamperei unmöglich gewesen. Dort hatte jeder Soldat so gewissenhaft seine Aufgaben erfüllt, als hätte sich die Stadt im Zustand des immer währenden Krieges befunden. Hier hingegen schien niemand mit der Ankunft von Feinden zu rechnen. War Qazwin eine wirklich freie Stadt? Oder war der hiesige Herrscher einfach nur zu nachlässig und mit anderen Dingen beschäftigt, um sich um die Verteidigung der Stadtmauern zu kümmern?
    Beatrice überlegte kurz, ob sie die Wachen nach Ali fragen sollte, doch sie entschied sich dagegen. Sie wollte die vier Männer nicht stören. Auf diese Weise konnte sie wenigstens unbeobachtet in die Stadt hinein. Und das war ein Vorteil, der möglicherweise eines Tages von Nutzen sein würde.
    Die Stadt machte so früh am Morgen noch einen verschlafenen Eindruck. Nur wenige Menschen waren auf der Straße - ein paar Frauen mit Krügen waren auf dem Weg zum Brunnen, ein Gerber schleppte sich mit einem Stapel Tierhäuten auf den Schultern dahin. Es war ruhig und friedlich. Die Geschäfte waren noch geschlossen, die breiten Tische auf dem Basar leer.
    Du hättest dir gar keine Gedanken über dein Vorgehen zu machen brauchen, dachte Beatrice. Hier ist sowieso niemand, den du nach Ali fragen könntest.
    Sie stieg ab und führte das Pferd zu einem Brunnen. Auch hier zeigte sich wieder einmal die Liebe der arabischen Bevölkerung zu den Pferden, denn neben dem Brunnen stand ein Trog bereit, in den man frisches Wasser für die durstigen Tiere schöpfen konnte. Während das Pferd gierig trank, schöpfte Beatrice für sich selbst ebenfalls Wasser, wusch sich das Gesicht und trank. Dann setzte sie sich auf eine der Stufen, die zum Brunnen führten, und fragte sich, wie es weitergehen sollte. Sie steckte ihre Hand in die Tasche. Dort war der Saphir, der Stein der Fatima, ihr ständiger Begleiter seit ihrer Ankunft in dieser Zeit. Manchmal glaubte sie, dass er zu ihr sprach. Nicht mit Worten natürlich, aber durch Zeichen, Ereignisse, Gedanken und Träume. Und manchmal hatte sie sogar den Eindruck, dass der Stein sich veränderte, größer oder kleiner wurde, schroffer oder glatter, als wäre er in Wahrheit ein lebendiges Wesen. Gerade jetzt fühlte er sich warm an, ja, wohlig warm, als hätte er längere Zeit neben einem offenen Feuer gelegen und dessen Wärme in sich gespeichert. Und plötzlich war sie wieder zuversichtlich. Beatrice drehte den Stein in ihrer Tasche und strich mit dem Daumen über seine raue

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