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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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die Straßen entlang, während Beatrice das Geplauder der Köchin an sich vorbeiplätschern ließ und überlegte. Sollte sie diese Frau nach dem Namen der Stadt fragen? Immerhin waren sie miteinander ins Gespräch gekommen. Es würde bestimmt keinen Verdacht erregen. Und selbst wenn, wer würde schon eine Köchin nach ihrer Meinung befragen?
    »Ich bin da«, sagte die Köchin, und Beatrice erschrak. Sie war noch zu keinem Ergebnis gekommen. »Dies ist das Haus meines Herrn.«
    Sie standen vor einem breiten Tor. Das Haus machte einen vornehmen Eindruck. Die Mauern waren frisch gekalkt, und die Fenstergitter waren Meisterwerke der Schnitzkunst.
    »Ich danke dir für deine Begleitung.«
    »Wie ich sagte, habe ich eine Schuld zu begleichen«, erwiderte Beatrice und nahm den Sack mit den Melonen vom Sattel. Dann fasste sie sich ein Herz. »Es mag dir seltsam erscheinen, doch ich bin viele Tage gereist. Ich bin fremd hier und weiß nicht, wo ...« Sie biss sich auf die Lippe. Sollte sie wirklich diese verrückte Frage stellen? »Kannst du mir sagen, wie diese Stadt heißt?«
    Das Gesicht der Köchin entspannte sich wieder, und erst jetzt wurde Beatrice bewusst, dass die Frau gedacht haben musste, dass sie bei ihr um eine Unterkunft betteln wollte.
    »Natürlich. Du bist hier in Qazwin.«
    Beatrice hätte die Köchin umarmen können. Sie hatte sich mal wieder umsonst Sorgen gemacht. Sie war richtig geritten, sie hatte ihr Ziel erreicht. Und da sie schon mal damit angefangen hatte, konnte sie jetzt auch noch weiterfragen.
    »Ich habe noch eine Bitte. Kennst du einen Arzt? Ich brauche dringend seinen Rat.«
    »Natürlich«, antwortete die Köchin und lächelte breit. »Da bist du hier genau richtig. Mein Herr ist Arzt. Hatte ich das nicht erwähnt?«
    Beatrice öffnete den Mund vor Staunen und Überraschung. Sie glaubte sich verhört zu haben. Das war doch wohl mehr als Zufall. Von allen Menschen, die an diesem Tag auf den Straßen von Qazwin unterwegs waren, war sie ausgerechnet über die Köchin eines Arztes gestolpert? Am liebsten hätte sie vor Freude laut gejubelt. Jetzt hatte sie keine Zweifel mehr daran, Ali und Michelle zu finden. Einen Arzt nach einem Kollegen zu fragen, würde vielleicht zu Unmut und verletztem Stolz führen, aber auf keinen Fall Verdacht erregen. Sie war gerettet.
    »Ich kann dir natürlich nicht versprechen, wann mein Herr dich empfangen wird«, sagte die Köchin und klopfte mit einem eisernen Türklopfer gegen das Tor. »Er ist immer sehr beschäftigt. Viele Kranke suchen ihn jeden Tag auf, manche kommen sogar von weit her. Und wenn er keine Kranken behandelt, vertieft er sich in seine Bücher. Er ist sehr gelehrt. Aber eines kann ich dir versichern, seit ich ihm diene, hat mein Herr noch nie jemanden fortgeschickt, der ihn um seine Hilfe gebeten hat.«
    Das schwere Tor öffnete sich und gab den Blick auf einen Durchgang frei, der so groß und breit war, dass sogar ein Reiter bequem in das Innere des Hauses gelangen konnte. Beatrice hatte kaum ihren Fuß über die Torschwelle gesetzt, als sie eine helle Stimme hörte.
    »Es hat geklopft! Das wird sie sein!«
    Sie erstarrte. Das Blut wich ihr aus Kopf und Oberkörper und versackte in den Beinen, die plötzlich schwer wie Blei waren, während in ihrem Gehirn ein Vakuum entstand und ihr
    Herz ein paar Schläge lang aussetzte. Sie merkte zwar, dass die Köchin mit ihr sprach, dass man sie am Ärmel zog und rüttelte, wie man es mit Schlafenden oder Ohnmächtigen tat, doch sie hatte nur Augen für das kleine Geschöpf, das um die Ecke gehüpft kam.
    Michelle.
    Aber das konnte nicht wahr sein, sie musste sich täuschen, das war nicht möglich, das war des Zufalls zu viel. Das kleine Mädchen war bestimmt nur eines der Kinder des Arztes. Es trug ja auch arabische Kleidung. Und die Ähnlichkeit, die Farbe des Haares war nichts weiter als ein Trugbild, eine grausame Laune des grellen Sonnenlichts, das von dem Innenhof in den Durchgang flutete.
    »Mama!« Die helle Stimme wirkte wie intravenös verabreichtes Adrenalin, wie ein Defibrillator bei einer erfolgreichen Reanimation. Beatrices Herz fing wieder an zu schlagen und das Blut in ihr Gehirn zu pumpen. Und langsam begann sie wieder zu denken. Das war wirklich ... »Mama!«
    Das kleine Mädchen breitete seine Arme aus und rannte auf sie zu. Als es bis auf wenige Schritte an sie herangekommen war, hatte Beatrice begriffen, was hier geschah und wer dieses Geschöpf mit den wehenden blonden Haaren und dem

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