Das Auge der Fatima
benehmen.«
Mustafa nahm seinen ganzen Mut zusammen, um endlich jene Frage zu stellen, die ihn beschäftigte, seit sie aus Alamut aufgebrochen waren.
»Meister, was werden wir tun, wenn wir in Qazwin sind? Wie wollen wir diesen gottlosen Ketzer finden?«
Osman runzelte missbilligend die Stirn. »Wir dürfen kein Aufsehen erregen«, antwortete er. »Also halte deinen Mund und tue nur, was dir gesagt wird. Du wirst alles erfahren, was du wissen musst - wenn die Zeit dafür gekommen ist.«
Mustafa senkte den Blick und wurde rot bis zu den Ohren. Er wollte nicht den Zorn des Meisters auf sich lenken. Aber vielleicht antwortete Meister Osman auch nur deshalb so ausweichend, weil er selbst nicht so genau wusste, wie sie weiter vorgehen und unauffällig den gefährlichen Ketzer in Qazwin suchen sollten? Vielleicht war er sich noch nicht einmal sicher, ob sie diesen Mann überhaupt in Qazwin finden würden?
Diese Gedanken blitzten so jäh und unerwartet in seinem Kopf auf, dass Mustafa erschrocken zusammenzuckte. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. So etwas durfte er nicht denken, das war Frevel. Er sollte gehorsam sein bis in den Tod - das hatte er erst vor wenigen Tagen geschworen. Schickte der Teufel ihm jetzt diese Gedanken, um ihn in Versuchung zu führen? Oder handelte es sich um eine jener Prüfungen, von denen Meister Osman bei seiner Einweihung gesprochen hatte? Eine jener Prüfungen, denen sich die Fidawi immer wieder unterziehen mussten - Zweifel an ihrem Auftrag, Ablehnung der Worte des Großmeisters, Furcht vor dem, was sie tun sollten. Das sei die wahre Herausforderung der Fidawi, hatte Meister Osman bei seiner Weihe gesagt. Jeden Tag erneut gegen sich selbst zu kämpfen - und zu siegen.
Mustafa schüttelte den Kopf und schlug sich mit der Faust gegen die Stirn, um diese ungehörigen, verbotenen Gedanken zu vertreiben. Meister Osman hatte ihm diese Aufgabe anvertraut. Der Großmeister selbst hatte ihm diese Aufgabe anvertraut. Allah erwartete von ihm, dass er seinen Dienst gehorsam und gewissenhaft verrichtete. Er würde lieber sterben als einen von ihnen zu enttäuschen. Mustafa straffte wieder die Schultern. Ja, er würde stark sein. Er würde seine Zweifel, seinen Spott, seine aufkeimende Unsicherheit besiegen. Er würde Allah um Vergebung bitten und genau das tun, was Meister Osman von ihm verlangte.
Wie sich herausstellte, waren Osmans Bedenken bezüglich des Verhaltens der Stadtwachen völlig unbegründet. Das Tor stand einladend offen, und von den Wachen war weit und breit nichts zu sehen. Ungehindert und ohne dass sich jemand um sie gekümmert hätte, ritten sie in die Stadt hinein.
Mustafa sah sich staunend um. Er stammte aus einem kleinen Dorf in den Bergen, weit entfernt von jeder Stadt. Sie waren alle Ziegenhirten und so arm, dass sie eben gerade genug hatten, um ihren Hunger zu stillen. Niemand aus dem Dorf konnte es sich leisten, in die Stadt zu reisen. Nur sein Vater hatte einmal mit Mustafas älterem Bruder, der sehr krank gewesen war, den langen und beschwerlichen Weg auf sich genommen, um in der Stadt einen Arzt aufzusuchen, dessen Ruf sogar in ihr kleines Dorf gedrungen war. Mustafas Vater wurde es nie müde, von den Wundern, der Schönheit und der Pracht der Stadt zu erzählen - und der Großzügigkeit des Arztes, der seinen Sohn geheilt und als Lohn nur um ein Zicklein gebeten hatte. Die Kinder des Dorfes hingen jedes Mal wie gebannt an seinen Lippen. Doch jetzt, da Mustafa alles zum ersten Mal mit eigenen Augen sah, wusste er, dass die Worte seines Vaters nichts als ein trüber Schatten der Wirklichkeit waren. In Wahrheit war alles noch viel schöner, größer und prächtiger, als er es sich vorgestellt hatte.
Er bestaunte die engen Straßen, die trotz der frühen Morgenstunde voller Menschen waren. Er begegnete Frauen, die Körbe und Krüge auf ihren Köpfen balancierten, Kindern, die Lämmer trugen oder Schafe und Ziegen geschickt durch die engen Gassen trieben, Männern, die schwere Säcke schleppten, breiten Ochsenkarren, schwer beladen mit Brennholz und Körben voller Steine, und Reitern in kostbaren Gewändern. Überall auf den Plätzen, den Straßen, auf Tischen und auf Decken hatten Händler ihre Waren ausgebreitet. Es gab Gemüse und Obst im Überfluss, köstlichen goldgelben Honig, Säcke voller namenloser Kräuter und Gewürze, die in allen Farben leuchteten und die zwar fremdartig, aber dennoch verführerisch dufteten, feine Lederwaren und reich verziertes Geschirr
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