Das Auge der Fatima
aus schimmerndem Messing und Kupfer. Mustafa konnte sich an all den Herrlichkeiten nicht satt sehen.
»Hüte dich davor, den Verlockungen der Stadt zu erliegen«, sagte Osman leise. Erneut zuckte Mustafa erschrocken zusammen. Hatte der Meister etwa seine Gedanken gelesen? »Alles, was du hier siehst, ist nichts als Blendwerk. In Wahrheit handelt es sich um die Fallstricke des Teufels, so kunstvoll gewebt und unsichtbar gespannt, dass nur der Weise, dessen Herz rein ist vor Allah, sie wahrnehmen kann. Hüte dich also, damit du nicht strauchelst und der Teufel seinen Sieg über dich erringt.«
Mustafa nickte und hielt von nun an seine Augen starr geradeaus gerichtet, um sich nicht von den vor ihm ausgebreiteten Reizen ablenken und in die Irre führen zu lassen. Doch ein Teil von ihm wünschte sich nichts sehnlicher, als frei und unbeschwert durch die engen Gassen der Basare zu streifen, hier das knusprige weiße Brot zu kosten, dort von den Melonen zu probieren, die herrlich schimmernden Stoffe zu berühren, die wohl aus jener Faser gewebt waren, die Seide genannt wurde, und ein Stück von den Würsten zu kaufen, deren Duft allein einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Frei und unbeschwert? Allah allein war in der Lage, wahre Freiheit zu schenken. Mustafa seufzte. Er musste wohl noch sehr viel lernen, bevor er auch in seinem Innern ein echter Fidawi war. Oder hatte der Teufel etwa schon Besitz von ihm ergriffen?
»Willst du immer noch wissen, was wir als Nächstes tun werden?«, fragte Osman in spöttischem Ton.
Mustafa senkte den Blick. Seine Wangen brannten vor Scham.
»Meister, es war niemals meine Absicht ...« Sein hilfloses Stammeln brach ab. Er hatte den Meister erzürnt. Zweimal an einem Morgen. Wie sollte er das nur wieder gutmachen? »Verzeiht mir.«
»Nicht mich, sondern Allah solltest du um Vergebung bitten«, sagte Osman. »Doch ich will deine Neugierde befriedigen. Wir werden eine Moschee aufsuchen. Während ich mich um alles andere kümmere, wirst du ausreichend Gelegenheit haben, diesen schändlichen Flecken von deiner Seele zu waschen.«
»Ja, Meister«, erwiderte Mustafa kläglich. Am liebsten hätte er sich tief in einem der Säcke verkrochen, die an seinem Sattel hingen, so sehr schämte er sich.
»Du musst noch viel lernen, sehr viel«, sagte Osman und richtete seinen Blick wieder wie üblich nach vorne. Manchmal fragte sich Mustafa, ob Meister Osman fern am Horizont die Herrlichkeiten des Paradieses sehen und sich deshalb von diesem Anblick nur schwer losreißen konnte. »Aber du bist auch noch jung, Mustafa. Wir dürfen die Hoffnung jetzt noch nicht aufgeben.«
Wie es Brauch war, zogen sich Mustafa und Meister Osman die Schuhe aus, bevor sie in den Innenhof der Moschee gingen. In einem Becken aus weißem Marmor wuschen sie sich die Füße. Das Wasser war klar und herrlich kühl, sodass es nicht nur den Schmutz, sondern auch die Müdigkeit von ihnen abspülte. Erst dann wagten sie es, das Innere der Moschee zu betreten.
Meister Osmans Ermahnungen, kein Wort zu sagen, waren überflüssig. Die Moschee war das schönste, prächtigste Gebäude, das Mustafa jemals gesehen hatte, und sprachlos vor Staunen schaute er sich die Herrlichkeiten an. Zierliche Säulen aus weißem Marmor trugen die Kuppel. Sie war mit blauen und goldenen Mosaiksteinchen ausgelegt und erhob sich so hoch über ihren Köpfen, dass sie aussah wie der Himmel voller goldener, blinkender Sterne. Er betrachtete voll Bewunderung die farbenprächtigen Mosaike, die mit Koranversen in goldenen Lettern geschmückt waren, die prächtigen glänzenden Messinglampen und die kostbaren weichen Teppiche, die den Boden bedeckten. Doch am schönsten und prächtigsten war der Mihrab, die Gebetsnische, die wie in jeder Moschee in der Welt der Gläubigen auch hier in Qazwin die Richtung von Mekka anzeigte, der heiligen Stadt des Propheten.
Der Gebetsraum war so gut wie leer. Ein junger Mann kniete in der Nähe des Mihrab und betete, ein älterer Mann erteilte einem Jungen geflüsterte Anweisungen, der das Öl in den Lampen auffüllte. Meister Osman gab Mustafa einen Wink, ihm zu folgen, und wandte sich dann an den Mann, der seiner Kleidung und seinem langen Bart nach zu urteilen der Imam oder der Muezzin der Moschee sein musste.
»Herr«, sagte Meister Osman und verneigte sich ehrfürchtig, »verzeiht, dass ich es wage, Euch zu belästigen.«
Der Mann musterte sie beide mit einem kurzen Blick, dann nickte er.
»Nur zu, mein
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