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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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er seinen Dienern den Befehl geben können, die beiden Fremden aus dem Haus zu werfen.
    »Ali al-Hussein«, sagte der Mann mit einer wohlklingenden Stimme. Ali erstarrte. Er kannte die Stimme des Mannes sehr gut. Er erinnerte sich an sie, als hätten sie sich erst gestern gegenübergestanden. Dabei hatte er diese Stimme schon lange nicht mehr gehört. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. »Allah sei Dank, dass du es bist und nicht einer unserer Verfolger.«
    Der Druck auf seinem Hals ließ nach, und Ali schlug die Augen auf. Gerade noch erhaschte er einen Blick auf ein schlankes, leicht gebogenes Stück Metall, das im Schein der Lampe gefährlich aufblitzte.
    »Saddin!«, stieß Ali mühsam hervor und griff sich an die Kehle. Mahmuds Stimme drang an sein Ohr. Der Diener presste sich ängstlich gegen die offene Tür und hatte mit dem Rezitieren der neunundneunzig Namen Allahs begonnen, als gälte es einen Geist zu vertreiben. Doch vor Ali stand kein Gespenst. Und allmählich begann er zu verstehen, wie knapp er dem Tode entronnen war. Ihm wurde übel. »Saddin, wie bist du hierher ... ?«
    »Verzeih, falls ich dich erschreckt haben sollte«, sagte der Mann, trat einen Schritt zurück und nahm sich die Kapuze vom Kopf.
    Erst jetzt wagte es Ali, aufzusehen, und wieder rieselte ein Schauer über seinen Rücken. Er war es wirklich. Saddin. Die Öllampe in Mahmuds zitternden Händen warf heftig zuckende Schatten an die Wände des Besucherzimmers. Und für einen kurzen Augenblick hatte Ali den Eindruck, die Zeit sei zurückgedreht worden. Er stand plötzlich wieder in dem kleinen Patientenzimmer in seinem alten Haus in Buchara, an jenem Abend, als er Saddin das letzte Mal gesehen hatte. Er hatte sich nicht verändert.
    »Saddin, was ...«
    Doch der Nomade legte beschwörend einen Finger auf die Lippen.
    »Nicht hier. Wir könnten sie wecken«, sagte er leise und deutete auf das Bett.
    Ali sah zu dem immer noch friedlich schlafenden Kind und nickte.
    »Gut«, flüsterte er. »Komm mit.«
    Leise zog er die Tür hinter ihnen zu. Dann wandte er sich an den immer noch wie Espenlaub zitternden Mahmud, der Saddin anstarrte, als wäre dieser ein Dämon.
    »Mahmud, laufe auf der Stelle zur Köchin und sage ihr, sie soll ein ordentliches Nachtmahl zubereiten. Ich habe einen Gast.« Er warf Saddin einen langen Blick zu. »Ein alter Freund ist sehr überraschend zu Besuch gekommen.«
    »Freund?«, fragte Saddin spöttisch, nachdem Mahmud verschwunden war. »Habe ich mich eben verhört, oder hast du mich wirklich als Freund bezeichnet?«
    Ali antwortete nicht. Er kaute auf seiner Lippe und versuchte sich vorzustellen, weshalb Saddin ausgerechnet heute zu ihm gekommen war. Noch dazu in Begleitung eines Kindes. War das Mädchen seine Tochter? Brauchte es ärztliche Hilfe? Oder wollte der Nomade seinen Lohn einfordern für einen Dienst, den er ihm einst erwiesen hatte. Damals hatte Saddin ihm geholfen, aus Buchara zu fliehen. Ali warf dem Nomaden einen prüfenden Blick zu. Er wirkte zwar erschöpft, so als hätte er eine lange, anstrengende Reise hinter sich, doch seine Kleidung war von erlesener Qualität und machte keinesfalls den Eindruck, als würde er unter Geldnöten leiden. Aber weshalb war er dann gekommen? Nach all den Jahren, in denen er nichts von ihm gehört hatte, tauchte er plötzlich in seinem Haus auf. Und außerdem - wie hatte Saddin ihn überhaupt gefunden? Welches unerfreuliche Schicksal wollte hier sein Spiel mit ihm treiben?

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    4.
    E in Diener nahm Saddin im Speisezimmer den schweren langen Reisemantel ab. Als Ali nun seinen unerwarteten Gast ohne dieses Kleidungsstück vor sich sah, drückte ihm die Angst die Kehle zu. Unter der dichten Wolle des Umhangs verborgen war der Nomade bewaffnet, als ob er sich auf einem Kriegszug befände. Zwei schimmernde Säbel und nicht weniger als fünf schlanke Dolche hingen an seinem Gürtel. Der Diener warf Ali einen erschrockenen Blick zu.
    »Willst du die nicht auch ablegen?«, fragte Ali und deutete auf die Waffen.
    »Nein. Es könnte sein, dass ich sie noch brauche.«
    Ali spürte, wie ihm bei diesen Worten der Schweiß aus allen Poren ausbrach. War der Nomade etwa gekommen, um ihn zu töten?
    »Nun, dann setz dich«, zwang er sich zu sagen und deutete auf eines der am Boden liegenden Polster.
    Eine Weile saßen sie einander gegenüber, schweigend, und taxierten sich mit Blicken wie zwei Löwen, von denen einer in das Revier des anderen eingedrungen war. Es war

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