Das Auge der Fatima
Wegen diese Ratten vom Stein der Fatima Wind bekamen, denn ich war allein, als ich Michelle fand, und du bist der Erste, mit dem ich darüber spreche. Dennoch tauchten nur wenige Tage später Fidawi in meinem Lager auf. Es kam zu einem heftigen Kampf. Es gelang mir zwar, zwei von ihnen zu töten, doch die anderen beiden konnten leider entkommen. Daraufhin beschloss ich, mit dem Kind zu fliehen, um es in Sicherheit zu bringen. In Sicherheit bei dem einzigen Mann, von dem ich weiß, dass ich ihm in diesem Fall vertrauen und ihm die Wahrheit erzählen kann - bei dir, Ali al-Hussein.«
Ali räusperte sich. »Diese Fidawi, was sind das für Männer?«
»Sie sind Mitglieder eines geheimen Ordens«, antwortete Saddin.
»Mönche?«, fragte Ali ungläubig. »Du willst damit sagen, dass es Mönche waren, die euch angegriffen haben?«
»Wenn du sie so nennen willst, ja. In gewisser Weise kann man sie wirklich als Mönche bezeichnen. Sie fasten, sie beten, sie haben den Verlockungen der Welt entsagt und lehnen sogar die Beziehung zu Frauen ab. Aber sie sind auch bereit, den Koran zu verteidigen. Ihrem Großmeister, dessen Namen und Gesicht außer ihnen niemand kennt, schulden sie blinden Gehorsam. Er wählt sie persönlich aus, und er oder einer seiner engsten Vertrauten bereitet sie auf ihre Aufgabe vor - für den Koran zu töten und dabei, falls nötig, selbst zu sterben. Für manch einen sind sie Heilige, Märtyrer.« Saddin zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Wenn du jedoch meine ehrliche Meinung über sie hören willst, ich glaube, sie sind nichts weiter als in allen Kampfkünsten ausgebildete Mörder. Fanatisch bis zum Wahnsinn und beseelt von dem einzigen Gedanken, die Welt von den Menschen zu befreien, die sie selbst als Ungläubige bezeichnen, schrecken sie vor nichts zurück. Gerüchten zufolge nehmen sie sogar freudig ihren eigenen Tod in Kauf. Angeblich soll Allah sie zur Belohnung sofort in das Paradies aufnehmen und ihre Namen im Buch der Gerechten aufzeichnen.« Er schnaubte verächtlich. »Meinen Informationen nach muss ihr Schlupfwinkel hier irgendwo in den Bergen von Qazwin liegen. Aber leider weiß ich nichts Genaues.« Er sah träumerisch in die Ferne. »Ich würde mein Leben geben, wenn es mir gelänge, diese Bande auszuräuchern und ihnen das Handwerk zu legen, bevor sie sich über die ganze
Welt ausbreiten können wie die Pest. Aber wer weiß, viel leicht gelingt es ja einem anderen.«
Ali griff an seinen Kragen und lockerte sein Gewand. Es schien mit einem Mal merkwürdig eng zu sein.
»Und diese Fidawi sind deine Verfolger.«
»Ja. Wie ich vorhin sagte, sind zwei von ihnen leider entkommen. Dass es mir gelungen ist, diese Ratten zu vertreiben, bedeutet nämlich nicht, dass sie ihre Verfolgung auch aufgeben werden. Fidawi sind unerbittlich. Nur der Tod kann sie davon abhalten, eine einmal begonnene Jagd nicht zum Ende zu bringen.« Saddin runzelte die Stirn. »Sie werden unsere Spur finden, Ali. Früher oder später. Sie werden uns verfolgen, bis sie ihr Ziel erreicht haben.«
»Bis sie uns alle getötet haben?«, flüsterte Ali.
Saddin nickte. »Es sei denn, es gelingt uns, ihnen zuvorzukommen. «
Ali wurde still. Er sollte also das Mädchen vor den Fidawi beschützen. Verlangte Saddin etwa, dass er angesichts der ihm zugedachten Aufgabe in Jubel ausbrach? Das war wirklich zu viel verlangt. Immerhin ging es hier nicht um irgendetwas. Wenn Saddin sich nicht geirrt hatte, wenn dem Mädchen wirklich diese Fidawi auf den Fersen waren und diese Männer das waren, was Saddin befürchtete, wurde es mehr als nur gefährlich. Dann konnte allein die Tatsache, dass er das Mädchen beherbergte, seinen Tod bedeuten.
»Und nur, weil ich auch schon mal etwas vom Stein der Fatima gehört habe, soll ich mich jetzt um dieses Mädchen kümmern?«, fragte er schwach.
»Nein. Du kannst mir nichts vormachen, Ali al-Hussein, du weißt viel mehr, als du jetzt zugeben willst. Denn auch du hast in den vergangenen Jahren nach den Steinen geforscht. Du kennst ihre Macht, auch wenn du sie vielleicht noch nicht verstehst. «
»Woher ...« Er brach ab und riss die Augen auf, als er begriff. »Du hast mich beobachten lassen? All die Jahre hindurch? Natürlich. Ich hätte es mir ja gleich denken können. Wie hättest du mich sonst hier in Qazwin finden sollen.«
»Ja, ich gebe zu, dass ich zu jeder Zeit wusste, wo du dich gerade aufhältst.« Saddin lächelte und machte eine Geste, als wollte er sich entschuldigen.
Weitere Kostenlose Bücher