Das Auge der Fatima
gegen ein ganz gewöhnliches Bett zu tauschen, hatte er ihr stundenlange Vorträge über gesunden Schlaf, fernöstliche Philosophie und erstklassiges Design gehalten. Irgendwann hatte sie es aufgegeben und Markus schließlich verlassen. Natürlich nicht nur wegen des Futons. Welten trennten sie voneinander. Aber das Ganze war inzwischen viele Jahre her. Als sie Markus Weber das letzte Mal gesehen hatte, war sie schwanger gewesen, und sie hatten sich so heftig gestritten, dass sie ihn aus ihrer Wohnung geworfen und kurz danach vorzeitige Wehen bekommen hatte. Sie hatte sich ins Krankenhaus bringen lassen müssen, und am nächsten Morgen war Michelle geboren worden - zehn Wochen zu früh. Michelle ...
Beim Gedanken an ihre kleine Tochter fiel Beatrice alles wieder ein - die Intensivstation des Kinderkrankenhauses, den Bericht ihrer Eltern, ihre verzweifelte Suche nach dem fehlenden Stein der Fatima, die Gewissheit, dass ihre Tochter sich auf einer Reise befand. Einer jener seltsamen Reisen, von denen sie selbst auch schon zwei unternommen hatte und vielleicht gerade in diesem Augenblick die dritte begann. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie sie in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa gesessen und den Stein der Fatima mit dem festen Vorsatz in die Hand genommen hatte, sich erneut auf ein Abenteuer einzulassen. Es schien funktioniert zu haben. Dies hier war ganz bestimmt weder ihr Sofa noch der Holzdielenboden in ihrem Wohnzimmer. Und in ihrer Hand fühlte sie den Stein.
Eigentlich wollte Beatrice auf den Saphir und die Macht, die hinter ihm stand, wütend sein. Wie konnte der Stein der Fatima es wagen, Michelle zu entführen? Ein nicht einmal vierjähriges Mädchen einfach irgendwohin zu bringen, ohne seine Mutter vorher zu fragen oder ihr wenigstens eine Nachricht zu hinterlassen? O ja, sie hatte genügend Gründe, auf den Stein der Fatima wütend zu sein. Trotzdem gelang es ihr nicht. Eine Stimme in ihrem Innern sagte ihr, dass alles seinen Sinn hatte. Ganz egal, wie aberwitzig und verrückt es auch erscheinen mochte, ein Kind kreuz und quer durch die Zeit reisen zu lassen, irgendeine Absicht stand dahinter. Es gab einen Grund, auch wenn sie ihn noch nicht kannte.
Ich hoffe, dass du mich wenigstens genau dorthin gebracht hast, wo Michelle auch gerade ist, dachte sie und ballte in ihrer Verzweiflung ihre Faust so fest um den Saphir, dass seine Bruchkante ihr beinahe in die Handfläche schnitt. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und schlug die Augen auf.
Über ihr wölbte sich ein blassblauer Himmel. Unbarmherzig brannte die Sonne auf sie herab, keine Wolke war zu sehen. Ganz hoch oben kreisten zwei Vögel, von denen Beatrice annahm, dass es Geier waren. Geier, die sich in Erwartung eines Festmahls zusammengefunden hatten und nun darauf harrten, dass ihr Opfer endlich starb. Dieses Opfer war zweifelsohne sie.
Beatrice setzte sich auf und stellte erfreut fest, dass sie die Reisekleidung der Beduinen trug. Anscheinend befand sie sich wieder in einem arabischen Land. Sie würde sich also mit den Einwohnern verständigen können - ein großer Vorteil bei ihrer Suche nach Michelle. Doch dann blickte sie sich um, und ihr Mut sank auf den Nullpunkt. Selten hatte sie eine ödere Landschaft gesehen. Selbst die mongolische Steppe mit ihren schier endlosen grasbewachsenen Hügeln war abwechslungsreicher als diese Gegend. Hier gab es weit und breit nichts. Gar nichts - abgesehen von Geröll, grauweißem Staub und nur vereinzelt wachsendem dürrem, niedrigem Gestrüpp. Und natürlich den beiden Geiern, die voller Hoffnung über ihr kreisten. Es gab keine Anzeichen, dass hier in der Nähe Menschen lebten, keine Geräusche außer dem Wind, der in vereinzelten, überraschend auftretenden Böen den Staub vor sich hertrieb und das trockene Gras rascheln ließ. Das hier hätte ebenso gut der Mond sein können.
Unendliche Weiten!, dachte Beatrice. Wir schreiben Sternzeit 1243,3. Auf ihrem Weg durch die Zeit befindet sich Dr. Beatrice Helmer auf der Suche nach fremden Zivilisationen.
Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Vieles hatte sie erwartet, doch damit, dass der Stein sie diesmal ganz allein mitten in der Wüste absetzen würde, hatte sie nicht gerechnet. Was sollte sie jetzt tun? Als der Stein der Fatima sie das letzte Mal in eine ähnliche Landschaft gebracht hatte, waren Maffeo Polo und Dschinkim gekommen. Die beiden waren auf der Jagd gewesen und hatten sie aufgelesen, noch bevor sie das Bewusstsein erlangt
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