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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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jederzeit ihr Leben zu lassen. Doch mit den vieren war auch einer seiner eigenen Brüder dem Nomaden und dem Mädchen auf den Fersen gewesen. Nuraddin war nur zwei Jahre jünger als er selbst und der einzige seiner vier Brüder, der ebenfalls den Ruf Allahs vernommen und ihm mit ganzem Herzen gefolgt war. Wenn er tot war, wie sollte er das seinem Vater erklären?
    Beatrice war bereits seit Tagen unterwegs. Trotzdem schien es ihr, als ob sie nicht einen Schritt vorangekommen wäre. Obwohl sie mit den ersten Strahlen des Morgens aufstand und weitermarschierte, bis die Sonne als blutroter Ball im Westen unterging, änderte sich die Landschaft nicht. Stets war es der gleiche trostlose Anblick: Geröll, Staub und dürres, grau verblichenes Gras, das im heißen Wüstenwind raschelte und knisterte wie Alufolie. Ihre Kleidung bot zwar ein wenig Schutz vor den unbarmherzigen Strahlen der Sonne, doch sie litt unter Hunger und einem beinahe mörderischen Durst. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass Durst einen Menschen derart quälen konnte. Ihre Zunge klebte am Gaumen, ihre Lippen waren trocken und aufgesprungen, und ihre Fantasie gaukelte ihr Bilder von eisgekühlten, in bunten Dosen abgefüllten Erfrischungsgetränken und vor klarem Wasser überquellenden Brunnen vor. In ihrer grenzenlosen Verzweiflung wischte sie sich immer wieder mit einem Zipfel ihres Mantels den Schweiß von der Haut. Und während sie gierig die wenigen Tropfen Flüssigkeit aus dem mit winzigen Salzkristallen überzogenen Stoff saugte, schwor sie sich, nie wieder auch nur einen Fuß vor die Haustür zu setzen, ohne eine bis zum Rand gefüllte Wasserflasche in der Tasche zu haben. Vorausgesetzt natürlich, dass sie diese schier endlose Wanderung durch die staubigste aller Höllen überlebte. Ihren Hunger versuchte Beatrice mit den dürren, harten Gräsern zu stillen, die wie Streichhölzer schmeckten und ihr beim Kauen den Gaumen aufrissen. Einmal fing sie einen Käfer. Es war ein großes Exemplar mit einem glänzenden schwarzen Panzer, einem Skarabäus nicht unähnlich. Sie erinnerte sich an die Worte eines Hamburger Bäckers und Überlebenskünstlers, der in einer Fernsehsendung Insekten als »Proteinlieferanten« empfohlen hatte. Aber nachdem sie den Käfer eine Stunde in ihrer hohlen Hand mit sich herumgetragen und seine zappelnden, krabbelnden Beine gespürt hatte, ließ sie ihn doch laufen. Sie konnte sich nicht überwinden, das Tier zu essen. Vielleicht aus Mitleid mit dem einzigen lebenden Geschöpf weit und breit, abgesehen von ihr und den drei Geiern. Vielleicht war aber auch ihr Hunger noch nicht groß genug. Während sie den Käfer beobachtete, wie er eilig davonkrabbelte und sich schließlich hastig in den Sand eingrub, hoffte sie, dass sie diese Entscheidung nicht noch bereuen würde.
    Erst nachts, wenn die letzten Strahlen der Sonne verschwunden waren und es dunkel wurde, machte Beatrice Rast. Sie war nicht wählerisch und gab sich auch keine große Mühe bei der Suche nach ihrem Schlafplatz. Sie ließ sich einfach dort auf den staubigen Boden fallen, wo die Dunkelheit sie gerade eingeholt hatte. Dann rollte sie sich zusammen und wickelte sich in ihren Reiseumhang. Trotzdem fror sie so erbärmlich, dass ihre Zähne aufeinander schlugen. Bislang hatte sie es nie so recht glauben wollen, wenn sie Berichte über die krassen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht in den Wüstenregionen gehört hatte. Sie hatte immer gedacht, dass es etwas mit dem subjektiven Empfinden nach der mörderischen Hitze des Tages zu tun hatte. Aber jetzt kamen ihr doch Zweifel. Und manchmal, wenn sie mitten in der Nacht aus ihrem oberflächlichen, unruhigen Schlaf aufschreckte, hatte sie den Eindruck, dass ihr Atem auf dem Stoff ihres Umhangs gefror.
    Von Tag zu Tag fiel es ihr schwerer, morgens aufzustehen und ihren Weg fortzusetzen. Trotz der harten Ledersohlen der Stiefel, die sie trug, spürte sie die spitzen Steine. Ihre Füße waren übersät mit großen blutigen Blasen, und jeder Schritt schmerzte, als würde sie über glühende Kohlen laufen. Mehr als einmal war sie kurz davor, sich einfach fallen zu lassen und sich an Ort und Stelle ihrem Schicksal zu ergeben. Aber sie konnte nicht. Sobald sie die Augen schloss, sah sie Michelle vor sich, wie sie auf der Intensivstation lag, umringt von piepsenden Monitoren und gefangen in einem Traum, aus dem es so lange kein Erwachen gab, bis es ihr gelingen würde, das kleine Mädchen zu finden und es

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