Das Auge der Fatima
waren. Und als sich schließlich doch noch Bedenken einstellten - welcher Mensch begab sich schon freiwillig in diese Hölle, wenn ihn nicht düstere Absichten trieben -, war es zu spät. Die Reiter waren bereits bei ihr.
Es waren vier Männer, eingehüllt in die weite wüstentaugliche Kleidung der Beduinen. Ihre Gesichter waren zum Schutz gegen die Sonne und gegen den Sand hinter Tüchern verborgen, die nur die Augen frei ließen. Es waren dunkle Augen, mit denen sie Beatrice voller Misstrauen betrachteten, als ob sie sich noch nicht sicher wären, zu welchen Wesen die Frau vor ihnen gehörte - zu den Menschen oder den Geistern.
»Salam, Ihr edlen Herren!«, sagte Beatrice. Ihre Zunge klebte am Gaumen, und ihre Stimme klang so heiser, dass sie nur hoffen konnte, dass die Männer sie auch verstehen würden. Sie verneigte sich und berührte mit ihrer Hand Brust, Mund und Stirn. »Allah sei gepriesen für Seine Barmherzigkeit und Güte. Sein Name sei gelobt, dass er Eure Schritte zu mir gelenkt hat. Ich hatte die Hoffnung auf Rettung bereits aufgegeben.«
Einer der Männer löste sein Tuch von seinem Gesicht. Er war jung und außergewöhnlich hübsch, und Beatrice hätte schwören können, dass seine Augen mit Kohle geschminkt waren.
»Welch unerfreuliches Schicksal mag es sein, welches ein einsames Weib mitten in das Herz der Wüste treibt?«, fragte er und ließ seinen skeptischen Blick an Beatrice hinabgleiten.
»Ich wollte die Wüste durchqueren. Und ...«
»Wohin wolltest du, Weib?«, unterbrach sie einer der anderen Männer. Seine Stimme drang dumpf und mürrisch unter seinem Tuch hervor.
»Man sagte mir, dass dort im Nordwesten eine Oase liegt«, erwiderte Beatrice ohne lange darüber nachzudenken, was sie den vieren erzählen sollte. »Ich wollte dorthin. Eine Cousine zweiten Grades wird in den nächsten Tagen heiraten.«
»Zur Hochzeit nach Qum?«, fragte der dritte der Männer mit ungläubigem Staunen. Die Stimme klang jung, fast noch kindlich, und unwillkürlich stellte sich Beatrice unter dem Tuch das glatte, unschuldige Gesicht eines halbwüchsigen Jungen vor. »Aber dorthin wollen wir doch ...«
»Schweig, Assim!«, herrschte ihn der an, der zuerst mit Beatrice gesprochen hatte. »Hör nicht auf ihn, Weib, mein Bruder redet oft unsinniges Zeug daher. Sprich weiter. Weshalb reist du allein? Und wo ist dein Pferd?«
»Als ich von zu Hause aufbrach, hatte ich mich einer Gruppe von Händlern angeschlossen, die sich bereitwillig anboten, mich bis zu der Oase zu begleiten. Ich konnte ja nicht ahnen, dass sich hinter der freundlichen und hilfsbereiten Fassade gemeine Betrüger verbargen. Als ich eines Morgens aufwachte, waren sie fort. Und mit ihnen mein Pferd und das Packtier mit Wasser, Proviant, meinen Kleidern, meinem Schmuck und den Hochzeitsgeschenken für meine Cousine.« Beatrice war selbst überrascht, wie glatt und mühelos ihr die Lüge über die Lippen kam. Diese Geschichte klang so einleuchtend, dass sie sie beinahe selbst für die Wahrheit hielt. »Anfangs beklagte ich mein unerfreuliches Schicksal und wartete auf Rettung. Doch dann raffte ich mich auf und begann zu Fuß weiterzugehen, in der Hoffnung, irgendwann auf eine Menschenseele zu treffen. Und nun hat Allah endlich in Seiner unermesslichen Güte meine Bitten erhört, und ich stehe vor Euch, Ihr edlen Herren, angewiesen auf Eure Gnade und Euer Erbarmen.«
Sie verneigte sich wieder.
»Wie lange ist das jetzt her?«, fragte der Anführer. Seine Stimme klang bereits deutlich milder. »Seit wann bist du zu Fuß unterwegs?«
»Ich habe mein Gefühl für die Zeit verloren, Herr, doch es müssen fünf oder sechs Tage sein«, antwortete Beatrice. »Und jetzt verlässt mich allmählich meine Kraft. Ich fürchte, wenn Ihr mich erst morgen gefunden hättet, hätten die Geier bereits mit ihrem grausigen Geschäft begonnen.«
Die jungen Männer warfen einander kurze Blicke zu und nickten schließlich.
»Wir haben die Geier gesehen«, sagte der Anführer und glitt vom Pferd. Mit gierigen Augen beobachtete Beatrice, wie er einen fellbezogenen Beutel vom Sattel nahm. Er trat auf sie zu und reichte ihn ihr. »Trink.«
Beatrice traten die Tränen in die Augen. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass der Anblick eines einfachen, mit Ziegenfell bezogenen Wasserschlauchs so ein Glücksgefühl in ihr auslösen könnte. Ehrfürchtig streichelte sie über das kurze dunkelbraune Fell und schickte Dankgebete in den Himmel. In diesem Schlauch
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